Menschenrecht Wasser

Der Kampf gegen die Privatisierung des Wassers

Logo mit EU-Fahne: »Wasser ist Menschenrecht! Europäisches Bürgerbegehren«.

Die Bezirks­dele­gier­ten­kon­fe­renz des Bezirks Rhein­land-West­falen hat am 8. De­zem­ber 2012 auf Antrag der Kölner Innen­stadt­gruppe beschlos­sen – und hier war es Christine, die uns den Vor­schlag gemacht hat, – dass wir uns an der Initia­tive von Verdi gegen die Wasser­priva­ti­sie­rung betei­ligen. Diese Initia­tive bezieht sich auf die UNO-Reso­lu­tion vom 28. Juli 2010, mit der die General­ver­samm­lung den Zu­gang zu saube­rem Was­ser und zu Sani­tär­ver­sor­gung als ein Men­schen­recht aner­kannt hat. Die Reso­lution hatte Boli­vien mit der Unter­stüt­zung 33 weite­rer Staaten vorge­legt. Sie wurde ohne Gegen­stim­men mit einer großen Mehr­heit von 122 Stim­men ange­nom­men. Es gab Enthal­tungen, unter ande­rem der USA.

Wörtlich haben wir auf der BDK beschlossen:

»Die DKP beteiligt sich aktiv an der Unter­schrif­ten­samm­lung zum Euro­päi­schen Bürger­ent­scheid‚ Wasser ist Menschenrecht.

Der Text dieser Unterschriftensammlung lautet:

Wasser und Sanitäre Grundversorgung sind ein Menschenrecht

Wasser ist ein Öffent­liches Gut, keine Handels­ware – Wir fordern die Europä­ische Kom­mis­sion zur Vor­lage eines Geset­zes­vor­schlags auf, der das Men­schen­recht auf Wasser und sanitäre Grund­versor­gung entspre­chend der Reso­lution der Verein­ten Natio­nen durch­setzt und eine funk­tio­nie­rende Was­ser- und Abwas­ser­wirt­schaft als exis­tenz­si­chern­de öffent­liche Dienst­leis­tung für alle Men­schen fördert. Diese EU-Rechts­vor­schrif­ten sollten die Regie­run­gen dazu verpflich­ten, für alle Bürger und Bürge­rin­nen eine aus­rei­chen­de Versor­gung mit saube­rem Trink­wasser sowie eine sani­täre Grund­versor­gung sicher­zu­stellen. Wir stellen nach­drück­lich folgen­de Forderungen:

  1. Die EU-Institutionen und die Mitgliedstaaten haben die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass alle Bürger und Bürgerinnen das Recht auf Wasser und sanitäre Grund­versor­gung haben.
  2. Die Versorgung mit Trinkwasser und die Bewirt­schaftung der Wasser­res­sour­cen darf nicht den Binnen­markt­regeln unter­worfen werden. Die Wasser­wirtschaft ist von der Libera­li­sie­rungs­agenda auszuschließen.
  3. Die EU verstärkt ihre Initiativen, einen univer­sellen Zugang zu Wasser und sani­tärer Grund­versor­gung zu erreichen.«

 

Unter­schriften sammeln

Dieses durch den Europäischen Gewerkschaftsverband für den Öffent­lichen Dienst (EGÖD) initiierte Bürger­begehren, das am 1. April 2012 einge­reicht wurde, ist von der EU-Kom­mis­sion am 10. Mai 2012 regis­triert worden. Es bleiben 18 Monate Zeit, dafür Unter­schriften zu sammeln. Eine Million müssen erreicht werden. Mittler­weile haben aber schon über 1,3 Mil­lionen Men­schen gegen die Brüsseler Pläne der Wasser­pri­va­ti­sie­rung protes­tiert, es ist das erste große europa­weite Volksbegehren.

GATS und GATT

Es fügt sich ein in eine weltweite Bewegung gegen die Wasser­priva­tisie­rung. Die Privati­sie­rung des Wassers ist eine der verhee­renden Folgen von GATS. Das »Allge­meine Abkom­men über den Handel mit Dienst­leis­tungen« (englisch General Agreement on Trade in Services; GATS) ist ein interna­tio­nales Vertrags­werk der Welt­handels­organi­sation (WTO), das den grenz­überschrei­tenden Handel mit Dienst­leistun­gen regelt und dessen fort­schrei­tende Libera­lisierung, also die Erschlie­ßung neuer Märkte und Investitions­felder für das große Kapital zum Ziel hat.

Das Allgemeine Zoll- und Handels­abkom­men (General Agreement on Tariffs and Trade – GATT), das im Zuge der Verhand­lungen von Bretton Woods gegen Ende des zweiten Welt­krieges verein­bart worden war, begnügte sich noch mit dem Abbau von Zoll- und Handels­beschrän­kun­gen für Waren. Letzt­lich wurden dadurch Staaten, deren land­wirt­schaft­liche und indus­trielle Produk­tion auf den Schutz durch Zölle ange­wiesen waren, veran­lasst, ihre Produkte einem vernich­ten­den Wett­be­werb aus­zu­set­zen. Die heimi­schen Expor­teure werden ihre Produkte nicht mehr los, auch die Binnen­märkte sind der Konkur­renz der imperia­lis­ti­schen Impor­teure nicht mehr gewachsen. Die Menschen, die gegen­wärtig das Mittel­meer in unge­eigne­ten Booten zu durch­queren hoffen, aber von Frontex abgewehrt werden, gehören zu den sicht­barsten Opfern dieser Politik.

Der letzten GATT-Verhandlungsrunde, der sogenann­ten Uruguay-Runde, ging es um die Libera­lisie­rung des Handels mit Dienst­leistun­gen. Sie schloss am 15. April 1994. Die Ergeb­nis­se wurden in Marra­kesch von 111 Ländern unter­zeich­net. Das GATS trat am 1. Januar 1995 in Kraft. Das GATT wurde in die WTO, die Welt­han­dels­or­ga­ni­sa­tion, über­führt und seine Tätig­keit verstetigt.

Auf der Grundlage von GATS will die EU-Kom­mis­sion, dass Kom­mu­nen in Zukunft im Regel­fall den Betrieb der Wasser­ver­sor­gung als Dienst­leistung aus­schrei­ben. Die Wasser­ver­sor­gung als öffent­liche Aufgabe soll an Dritte über­tragen werden. Die EU-Kom­mis­sion hat dazu einen Richt­linien­ent­wurf vorge­legt. Ziel ist es, stärker als bisher Public-Private-Partner­ship-Modelle (PPP) zu etab­lieren und somit den Markt für private Unter­neh­men in Bereichen der Daseins­vor­sorge zu öffnen. Der euro­päische Bürger­ent­scheid richtet sich gegen diese Dienst­leis­tungs­konzes­sions­richt­linie. Zu den Geg­nern der Richt­linie zählen mittler­weile der Deutsche Städte- und Gemeinde­bund (DStGB), der Verband kom­muna­ler Unter­nehmen (VKU) und sogar der BDI.

Die Krefelder Genossen hatten auf der BDK unsere Beteili­gung am Bürger­entscheid abgelehnt, weil der Kampf gegen die Priva­tisie­rung des Wassers doch besser auf ört­licher Ebene zu führen sei. Da liegen sie falsch. Denn es geht um die Verhin­derung einer euro­päi­schen Richt­linie, die die Priva­tisie­rung der kom­muna­len Wasser­ver­sorger mittels EU-Recht erzwin­gen will.

Privatisierung

Privatisierung ist nicht etwa die verbohrte Antwort des Imperia­lis­mus auf unsere Forde­rung nach Vergesell­schaf­tung von Produk­tions­mitteln, sondern eine Strategie der Mono­pole, der gesetz­mäßi­gen Tendenz fallen­der Profit­raten zu entkom­men. Das große Kapital ist auf der verzweifel­ten Suche nach neuen Verwer­tungs­mög­lich­keiten. Auf der Flucht vor drohen­der Entwer­tung oder gar Vernich­tung erschließt es sich neue Geschäfts­felder unter den bisher gesell­schaft­lich verwal­teten Gütern der Daseins­vor­sorge wie Gesund­heit, Bildung und Wasser.

Blick durch Maschendrahtzaun auf Wasserbecken: »Privatbesitz. Reservoir. Zutritt verboten!«.

Weltweit agieren nur wenige Konzerne auf dem Gebiet der Wasserwirtschaft. Etwa 20 Was­ser­ver­sor­gungs­un­ter­neh­men teilen sich den Weltmarkt auf. Unter den zehn größten Wasserkonzernen sind acht aus Europa – darunter auch RWE und E.ON. Die Firmen Veolia (ehem. Vivendi) und Suez sind mit einem Weltmarktanteil von 13 % und 8 % die größten. Mit 3 % folgt Thames Water, das noch bis 2007 zu RWE gehörte. Suez ist in etwa 130 Ländern mit 115 Millionen Verbrauchern, Veolia in 100 Ländern mit 110 Millionen Kunden tätig. RWE kam noch vor wenigen Jahren auf 64 Mil­lio­nen Verbraucher.

Wasserversorger

Bis 1990 waren deutsche Wasserversorger in kommu­na­ler Hand. Dann begann die Priva­tisie­rung. Insbe­son­dere die Energie­kon­zer­ne RWE, Vatten­fall, Energie Baden-Würt­tem­berg (EnBW, zwischen­zeitlich in der Hand von EdF – Energie de France), E.on und Veolia haben in fast allen Groß- und Mittel­städten Anteile an den Stadt- und Wasser­werken gekauft. Die Anteile reichen von 20 Pro­zent RWE an der Kölner Rhein­ener­gie (80 % liegen bei der städti­schen GEW AG) über die Standard­beteili­gung von 49,9 Pro­zent (zusam­men mit Veolia an den Berliner Wasser­betrieben) bis zu 80 Pro­zent (RWE an der Mül­heimer Rhei­nisch-West­fäli­schen Wasser­werks­gesell­schaft RWW).

RWE kaufte 2000/2001 Thames Water, den größten englischen und dritt­größten Versorger mit 12 Mil­lio­nen Kunden in Eng­land für 10 Mil­liar­den Euro. Das schien sich zu lohnen, nachdem Frau Thatcher 1989 begon­nen hatte, das Wasser zu priva­tisie­ren. Bald darauf war American Water Works dran. Wenig später China Water (Hong­kong). Indes blieb das Wasser­geschäft für RWE ein vorüber­gehen­des Aben­teuer. Denn Thames Waters Geschäfts­geba­ren mit ständi­gen Preis­erhö­hun­gen bei durch­gehen­der Vernach­lässi­gung des Leitungs­sys­tems stieß auf anhal­tende Proteste. Das veran­lasste Tony Blair, eine Regu­lie­rungs­behörde einzu­richten, das Office of water services. Die Behörde verlangte von RWE 714 Mil­lio­nen Euro an Inves­titio­nen in die Trink­wasser­leitun­gen und 470 Mil­lio­nen Euro an Inves­titio­nen in das Abwas­ser­system im Zeit­raum von 2005 bis 2010. Diese Kosten sollten nicht mehr auf die Wasser­preise umge­legt werden können. Und RWE hätte sich mit einer Jahres­rendite von 6 Pro­zent zufrie­den geben müs­sen. Das war zu wenig. RWE verkaufte Thames Water 2006 und steigt über­haupt allmäh­lich aus dem Wasser­geschäft aus. Der Börsen­gang von American Water erfolgte im April 2008. Vor kurzem hat RWE auch seine Anteile an den Berliner Wasser­betrie­ben abgestoßen.

Eigen­tums­verhält­nisse

Vielleicht sind für uns Geschichte wie Eigen­tums­verhält­nisse von RWE von Belang: Die Rheinisch-West­fäli­schen Elek­tri­zi­täts­wer­ke AG sind 1898 gegrün­det worden. Vier Jahre später erwarben August Thyssen und Hugo Stinnes mittels eines von ihnen geführten Konsor­tiums unter Betei­ligung der Deutschen Bank, der Dresdner Bank und der Disconto-Gesell­schaft die Mehr­heit an RWE. Zur Finan­zierung des Wachstums sowie zur Erlan­gung von Konzes­sionen und Genehmi­gungen organi­sierte Stinnes RWE als gemischt­wirt­schaft­liches Unter­nehmen mit privaten und kom­muna­len Anteils­eignern. Das hatte zur Folge, dass 1920 im Zuge der Erhöhung des Aktien­kapitals auf 108 Mil­lio­nen Mark die Kom­mu­nen erst­mals die Kapital­mehr­heit beim RWE erhielten. Nachdem aber immer wieder von privaten Anlegern die Abschaf­fung des kommu­nalen Mehr­heits­stimm­rechts gefordert worden war, wurden am 25. Juni 1998 die Vorzugs- in Stamm­aktien umgewandelt.

Seitdem verfügen die kommu­nalen Körper­schaften über 31 Pro­zent der Antei­le an RWE und just diesem Verhält­nis entspre­chen­de Stimm­rechte. Aber immer noch gibt es eine Nähe zu Kom­mu­nal­poli­ti­kern, die sich in Aufsichts­räten und Beiräten von RWE gegen hohe Hono­rare tummeln.

Im September 2001 kaufte die EnBW 29,9 Pro­zent der Aktien der Stadt­werke Düssel­dorf und im Dezem­ber 2005 weitere 25,05 Pro­zent für 361 Mil­lio­nen Euro. EnBW hat seitdem mit 54,95 Pro­zent das Sagen.

Mittlerweile weist die Mehrheit der etwa 900 Stadt­werke in Deutsch­land private Beteili­gun­gen auf. Nur die Stadt­werke, die komplett in öffent­licher Hand sind, wären, wenn es nach der EU geht, vom Zwang zu Aus­schrei­bungen ausge­nommen. Allen anderen droht die volle Privatisie­rung, weil nach dem Aus­laufen der bisheri­gen Konzes­sionen keine auto­mati­sche Verlän­gerung mehr eintre­ten würde. Die örtliche Wasser­versor­gung müsste EU-weit in Gänze aus­ge­schrie­ben werden.

Protest­bewe­gung

Protestaktion: Aneinander gekoppelte Boote mit Transparent: »Wasser ist Menschenrecht«.

Der Binnenmarktkommissar Michel Barnier hat unter­dessen unter dem Ein­druck der Protest­bewe­gung ein erstes Zuge­ständ­nis gemacht. In einer Sitzung des zustän­digen Aus­schus­ses wurde der Aus­schrei­bungs­zwang für kom­mu­nale Wasser- und Abwas­ser­be­triebe einge­grenzt. Nun soll die Wasser­sparte von Stadt­werken von der Aus­schrei­bungs­verpflich­tung bedingt frei­gestellt werden. Voraus­setzung ist, dass die Buch­haltung der Wasser­sparte völlig von der Buch­haltung der Energie­sparte getrennt wird. Aus der Wasser­sparte dürfen keine Quersub­ven­tionen in die Energie­sparte fließen. Diese Tren­nung signa­lisiere ein Entgegen­kom­men, meint Barnier. Denn eine Freistellung der Trinkwasserversorgung vom Aus­schrei­bungs­zwang hätte ihre völlige Heraus­trennung aus dem Stadt­werke­verbund erfordert. Das ist mit Blick auf eine weitere Bedin­gung der Aus­schrei­bungs­freiheit von Belang. Die Stadt­werke sollen nicht mehr als 20 Pro­zent ihres Um­sat­zes außer­halb der Stadt­grenzen erwirt­schaften. Im Ener­gie­ge­schäft sind aber mittler­weile fast alle Stadt­werke außer­halb ihrer Heimat­kom­mune tätig. Ohne die buch­halte­rische Tren­nung wären nicht nur Konzes­sionen für die Energie­sparte, sondern mit einem Schlag auch für die Wasser­ver­sor­gung aus­schrei­bungs­pflich­tig geworden.

Niemand hat die Absicht …

Das 20-Pro­zent-Kri­te­rium gilt aber selbst­verständ­lich auch für eine buch­hal­terisch abge­trennte Wasser­sparte. Wasser­ver­sorger, die mehr als 20 Pro­zent ihres Umsat­zes außer­halb ihres ange­stamm­ten Konzes­sions­gebie­tes erwirt­schaften, unter­liegen dem Aus­schrei­bungs­zwang. Barnier heuchelt, die Freiheit der lokalen Behörden werde hinsicht­lich der Art und Weise, wie sie die Aufgaben von allge­mei­nem Interes­se durch­führen, nicht beein­träch­tigt. Er prokla­miert aber nach wie vor ein erheb­liches Rechts­schutz­bedürf­nis, dem seine Richt­linie Rech­nung zu tragen habe. Damit sind wohl Libera­li­sie­rungs­ansprü­che in der Folge von GATS gemeint. Aber Barnier lügt ohne­hin. Gegen­über der öster­rei­chi­schen Tages­zeitung STANDARD erklärte er am 22. Februar 2013:

»Ich sage ganz klar, diese Richtlinie zur Vergabe von Konzes­sio­nen hat nicht das Ziel oder die Konse­quenz, die Versor­gung mit Wasser zu privati­sieren. Das ist nicht die Absicht der Kommission. Und wer das behauptet, der kennt auch mich sehr schlecht. Ich hatte persön­lich nie diese Absicht.«

Der Kampf gegen die Privatisierung

Der Kampf gegen die Privatisierung des Wassers tobt global und er währt schon einige Jahre. Es gibt Erfolge.

In Buenos Aires erhöhten sich die Wasser­preise nach der Priva­ti­sie­rung Mitte der 1990er Jahre um fast 90 Pro­zent. Nach 10 Jah­ren kündigte die Stadt die Verträge.

Berühmt ist der Wasserkrieg von Cochabamba.

1999 wurde auf Druck der Weltbank das kommunale Wasser­unter­neh­men der Stadt Cochabamba, SEMAPA, priva­tisiert. Die Stadt ist mit 600 000 Ein­woh­nern die zweit­größte Boliviens. Ihr Wasser­lei­tungs­netz war lücken­haft und unzu­reichend. Dennoch weigerte sich der Bürger­meister noch 1996, die Wasser­versor­gung dem Markt zu übergeben. Erst ein Staats­schulden­erlass über 600 Mil­lio­nen Dollar machte den dama­ligen Staats­präsi­denten gefügig. Käufer war der US-ameri­kani­sche Kon­zern Bechtel. Dessen Unter­nehmen Aguas del Tunari wurde im Privati­sierungs­vertrag eine 15 prozen­tige Rendite garan­tiert. Der Vertrag beruhte auf einem Entwurf der deutschen Gesell­schaft für Tech­nische Zusam­men­arbeit (GTZ).

In der Folge explodierten die Wasserpreise. Die Bevölke­rung reagierte mit dem guerra del agua, dem Wasser­krieg. Geführt wurde der Kampf von einer »Coordinadora de Defensa del Agua y de la Vida« mit 40 Organisa­tionen von Bauern, lokalen Wasser­gemein­schaften, Leute mit eigenen Brunnen, Umwelt­schützer, Gewerk­schaften, Jugend­organi­sationen. Im Januar, Februar und April 2000 kam es zu riesigen Demons­tratio­nen mit 60 bis 70 000 Menschen. Überall wurden Barri­kaden errichtet. Man bereitete sich auf die Ankunft von Soldaten vor. Bemalte Gesichter. Hände wurden mit Leder­hand­schuhen geschützt, um Gas­granaten zurück­schleu­dern zu können, aber auch um Stachel­draht von Pfosten zu Pfosten quer über die Straße zu legen. Glas­flaschen wurden zerbrochen und auf die Straße gelegt. Kinder und Jugend­liche mitten­mang. Das Versamm­lungs­verbot und der Belage­rungs­zustand wurden miss­achtet. Viele Mitglieder der Coordinadora wurden verhaftet und in ein weit abgele­genes Militär­lager im Tiefland geflogen. Die Polizei schoss zunächst mit Tränen­gas, dann mit scharfer Munition. Der 17-jährige Hugo Danza starb, von einer Kugel ins Gesicht getroffen. Sieben Tote insgesamt. Bald erfassten mili­täri­sche Opera­tionen das Land, fünf von neun Provin­zen waren im Ausnahme­zustand. Die Regierung wollte das Problem militärisch lösen. Aber Militär konnte das Volk nicht aufhalten.

Die Flucht der Bechtel-Manager

Den Ausschlag gab die Flucht der Bechtel-Manager. Als sie ihre Büros räumten und die Computer mit­nahmen, war die Wasser­versor­gung nicht mehr sicher­gestellt. Das bot der Regie­rung die Möglich­keit, den Vertrag am 10. April 2000 aufzu­heben. Es wurde ein Abkom­men mit der Coordinadora geschlossen. Es sah die Kündi­gung des Vertrags mit Aguas de Tunari vor, die Rück­führung der Depor­tierten, eine Entschä­digung der Fami­lien der Toten, Über­nahme der Kosten für die gesund­heitliche Versor­gung der Verletzten – und selbst­ver­ständ­lich die Redu­zierung der Wasser­tarife auf das Niveau vom Oktober 1999. Die SEMAPA über­nahm wieder die Wasser­versorgung. In ihren Vorstand kamen zwei Vertreter der Coordinadora, zwei von der Gemeinde und ein Gewerkschaftsvertreter.

Bechtel verklagte Boliviens Regierung. Die Firma wollte 25 Mil­lio­nen Dollar Ent­schä­di­gung. Der Prozess dauerte bis zum Herbst 2006. Dann gab Bechtel auf, vor allem, weil der Konzern in San Francisco, dem Sitz von Bechtel, unter starken öffent­lichen Druck geraten war. Als am 18. De­zem­ber 2005 Evo Morales mit 54 % der Stim­men zum Präsi­den­ten gewählt wurde, war das eine Folge des Kampfes um das Wasser, aber auch um das boli­via­ni­sche Erdgas und Öl, das sich imperia­listi­sche Konzerne unter den Nagel hatten reißen wollen. Beides wurde in der Folge verstaatlicht.

Bürger­ent­scheid in Leipzig

In Leipzig konnte 2008 eine Bürger­initia­tive durch Bürger­ent­scheid den Verkauf der Stadt­werke verhin­dern. 2010 hat der Stadt­rat von Stutt­gart auf Vorschlag des dortigen Wasser­forums beschlos­sen, die Wasser­werke von EnBW zurück­zukaufen. Ende Februar 2013 hat der Solinger Stadtrat entschieden, die Stadt­werke wieder in die eigene Hand zu nehmen. Bis dahin gehörten der (Mann­heimer Versor­gungs- und Verkehrs­gesell­schaft) MVV 49 % der Solinger Stadtwerke.

Die MVV Energie ist ein beachtlicher Konzern. 50,1 % der Anteile sind im Besitz der Stadt Mann­heim, aber die restli­chen Anteile kommen auf die Rhein­ener­gie (16,3 %), die EnBW (15,1 %), GDF Suez (6,3 %). Die MVV Energie wiederum hält Beteili­gun­gen an den Stadt­werken Kiel (51,0 %), der Ener­gie­ver­sor­gung Offen­bach (48,5 %), den Stadt­werken Ingol­stadt (48,4 %), Buchen (25,1 %), der Köthen Energie (100 %) sowie den Stadt­werken Sins­heim (30,0 %), Walldorf (25,1 %) und Schwet­zingen (10,0 %) sowie an siebzehn Fern­wärme­ge­sell­schaften in Tschechien.

In Gießen und Wetzlar ist die Wasserversorgung wieder in kommu­naler Hand. Über zwei Dutzend erfolg­reiche Bürger­begeh­ren gegen die Wasser­priva­tisie­rung hat es mittler­weile in der Republik gegeben.

Vorrats­beschluss in Berlin …

Eine Korrektur des Länderfinanzausgleichs 1994 bescherte der Stadt jährliche Minder­ein­nahmen von 4 Mil­liar­den Euro. Diese Lücke sollte durch Verkäufe von Vermögen geschlossen werden. Die Teil­priva­tisierung der Berliner Wasser­betriebe (BWB) erbrachte 1,58 Mil­liar­den Euro. Am 7. Juli 1998 beschloss der Senat, »eine Holding AG zu gründen, die am Kapital der Berliner Wasser­betriebe AöR (Anstalt öffent­lichen Rechts) beteiligt ist. Anteile der Holding AG sollen an Private veräußert werden, dabei ist sicher­zustel­len, dass das Land Berlin mit 50,1 % an der AG beteiligt ist.« Für die Bera­tung bei der Umset­zung wurde das Unter­neh­men Merrill Lynch gewählt. Die 1. Le­sung des Gesetzes zur Teil­priva­tisie­rung fand am 14. Januar 1999 statt. Vor der 2. Le­sung im Abge­ord­neten­haus am 29. April 1999 stimmten unter dem Eindruck der öffent­lichen Kritik an diesem Deal CDU und SPD für einen »Vorrats­beschluss«, der unter anderem forderte

  • wirksame Maßnahmen zur Konstant­haltung der Wasserpreise
  • und, soweit unternehmerisch darstellbar, eine Senkung der Wasserpreise
  • die Sicherstellung des Erhalts der Geschäftsfelder innerhalb der BWB AöR
  • die Fortsetzung der hohen Investitionstätigkeit und die Weiterentwicklung der BWB zu einem national und international agierenden wettbewerbsfähigen Unternehmen
  • die Stärkung des Wirtschaftsstandorts und die Schaffung neuer Arbeitsplätze im Land Berlin
  • die Förderung der ökologisch orientierten Wasser- und Abwasser­politik des Landes Berlin im Interesse einer intakten Umwelt.

Diese Forderungen waren schön, aber unver­bind­lich. Bindend indes wurden die Verträge. In der Plenar­debatte zu diesem Thema am 29. Oktober 1999 konnte die Finanz­sena­torin Annette Fugmann-Heesing erklären, dass am 1. Juli die Teil­priva­tisie­rung durch die Verträge beschlos­sen worden seien und dass nun­mehr ihr Voll­zug zu erfol­gen habe.

Immerhin waren die Preise bis zum 31. Dezember 2003 festge­schrie­ben worden. Unbekannt waren bis dahin die Geheim­klauseln des Vertrags, mit denen dem privaten Teilhaber RWE/Veolia Berlin­wasser Betei­ligungs AG eine Rendite 28 Jahre lang garan­tiert wurde. Das führte dann prompt zu Preis­erhö­hun­gen ab 2004. Die Berliner zahlten im inter­nationa­len Städte­vergleich die höchsten Wasser­preise. Personal wurde abgebaut und Investi­tionen abgesenkt. Die Wasser­preise dagegen stiegen stetig und enorm – insgesamt um 37 %! Die Rendite aus Trink- und Abwasser­verbrauch war allein in den Jahren 2005 bis 2010 um 365 Millionen höher als 1999 vom Berliner Verfas­sungs­gericht zuge­lassen. Die unzu­lässige Zusatz­rendite würde sich bis zum Jahr 2028, dem frühest­mög­lichen Kündi­gungs­termin, auf 6,3 Mil­liar­den Euro belaufen. Ohne jedes unter­nehme­rische Risiko lag der tatsäch­liche Profit bei garan­tierten 11 %. Das ermittelte der Berliner Wasser­tisch, ein breites Bündnis, das sich am 23. Mai 2006 auf Anre­gung von Attac gegrün­det hatte. Die DKP ist dabei.

… und Volksbegehren

Der Wassertisch initiierte ein Volksbegehren »Schluss mit Geheim­verträgen – Wir Berliner wollen unser Wasser zurück« und sammelte bis zum 31. Ja­nu­ar 2008 40 000 Unter­schrif­ten. Die Zulas­sung dieses Volksbegeh­rens wurde im März 2008 vom rot-roten Berliner Senat verwei­gert. Die Klage beim Verwal­tungs­gerichts­hof aber war am 6. Oktober 2009 erfolg­reich, so dass der nächste Schritt am Sonntag, den 13. Februar 2011, erfolgte. An diesem Tag fand der Volks­entscheid über die Offen­legung der Teil­priva­tisie­rungs­verträge bei den Berliner Wasser­betrie­ben statt. Entschie­den werden sollte mit Ja oder Nein zu folgendem Gesetzentwurf:

»Alle bestehenden und künftigen Verträge, Beschlüsse und Neben­abre­den im Zusam­men­hang mit der Teil­priva­tisie­rung der Berliner Wasser­betriebe sind mit Ausnahme personen­spezi­fischer Daten vorbe­haltlos offen zu legen. Sie bedürfen einer einge­henden öffent­lichen Prüfung und Aus­sprache unter Hinzu­ziehung von unabhän­gigen Sach­verstän­digen und der Zustim­mung des Abgeord­neten­hauses von Berlin. Sie sind unwirk­sam, wenn sie nicht im Sinne dieses Gesetzes abgeschlos­sen und offen gelegt werden.«

Häufig wurde im Zusammenhang mit dem Volksent­scheid die Frage gestellt: »Warum habt Ihr nicht gleich ein Volks­begehren zur Rekom­mu­na­li­sie­rung gemacht?«

Antwort: »Dann würde genau das geschehen, was in Pots­dam passiert ist. Dort wurde teuer rekom­mu­na­lisiert. Über die Verträge mit dem Konzern Suez wurde genauso Still­schweigen vereinbart wie über die Höhe der Rück­kauf­summe. Doch wie wir aus einge­weihten Kreisen wissen, wurden die garan­tierten Gewinne in die Rück­kaufsum­me einkal­kuliert – mit der Folge, dass die Wasser­preise in Potsdam noch höher sind als in Berlin. Wir wollen die kosten­günstige Rekom­mu­nali­sierung. Darum ist die Offen­legung als erster Schritt so wichtig.«

Tatsäch­lich stimmten 666 000 Berliner für die Offen­legung. Das »Gesetz für die voll­stän­dige Offen­legung von Geheim­verträgen zur Teil­privati­sierung der Berliner Wasser­betriebe« trat in Kraft. Aber der Kampf um die Rekom­muna­lisie­rung geht weiter. SPD und CDU hinter­treiben das Offenlegungsgesetz.

Immerhin verfügte das Bundeskartellamt am 5. Juni 2012 eine Senkung der Trink­was­ser­preise um 18 %. Womög­lich veranlasste diese Maßnahme RWE zum Verkauf. 24,95 % der Anteile Berlin­wasser Beteili­gungs AG gingen rück­wirkend zum 1. Januar 2012 an die Stadt Berlin.

Der Berliner Senat aber und die privaten Anteils­eigner klagen gemein­sam gegen die Verfügung des Bundes­kartell­amts: auch eine Form von Public-Private-Partnership.

Der Berliner Wassertisch muss weiterkämpfen.

Unter anderem beteiligt er sich am europäischen Bürger­entscheid. Er meldet sich auf die jüngsten Ausfüh­rungen des zustän­digen EU-Kom­mis­sars Barnier zu diesem Thema und bekräftigt die Ablehnung der Konzes­sions­richt­linie: »Wenn Kom­mis­sar Barnier bezüg­lich der Auswir­kun­gen des Richt­linien­vorschlags sich nun im Falle der rein kom­muna­len Stadt­werke zu einer Nach­besse­rung der EU-Kon­zes­sions­richt­linie gezwun­gen sieht, so ist das auf den Wider­stand zurück­zuführen, der sich in der laufenden Europäi­schen Wasser-Bürger­initia­tive unerwar­tet massiv artiku­liert. Entwar­nung ist dennoch nicht angesagt, denn auch die nach­gebes­serte Konzes­sions­richt­linie greift erheblich in die kommu­nalen Struk­turen der Wasser­wirtschaft in Deutsch­land ein. Kom­munal­poli­tische Gestal­tungs­freiheit wird durch europa­weit verbind­liche Richt­linien aus Brüssel ersetzt. Das Vorhaben muss komplett abgesagt werden.«

Überblendung: Wassermangel und Weltkugel. »Weltweit haben über 800 Millionen Menschen kein sauberes Trinkwasser.«.

Häufig wird übersehen, dass im Zusammenhang mit der Wasser­priva­tisie­rung über­haupt die Zukunft kom­muna­ler Stadt­werke auf dem Spiele steht. Dem Bundes­rat immer­hin ist das aufge­fallen, er forderte nicht nur die Heraus­nahme der Wasser­versor­gung aus der Dienst­leistungs­kon­zes­sions­richt­linie, sondern auch die Heraus­nahme der Strom- und Gasnetze.

Klaus Stein, 7. April 2013
Kreisvorstand der DKP Köln
Grafik: ver.di