Die maskierte Finanzkrise

Psychedelische Coronaviren.

Im Gewand
der Seuche

31. März 2020 | Für die BRD und für Köln weist meine Tabelle unterschiedliche Zahlen aus. Sie differieren je nach Quelle: RKI, WHO oder Stadt Köln. Die Unterschiede sind womöglich durch den Zeitverzug bei der Registrierung begründet. Aber auch der Sachstand ist strittig. Mangels Test-Kits ist von Dunkelziffern bei den Infizierten auszugehen. Es wird der Mangel an medizinischem Material öffentlich diskutiert. Der führt einerseits zu überhöhten Preisen, andererseits zu Gesetzesinitiativen, die eine Beschlagnahme vorsehen.

Die Entwicklung der Fallzahlen

  9. März Tote 16. März Tote 23. März Tote 31. März Tote
Welt 114.101   167.664 7.019 332.935 14.510 687.243 33.257  
China 80.754   81.003 3.231 81.601 3.276  82.455  3.313
Italien 9.172   24.747 2.158 59.138 5.476 97.689  10.781
BRD (RKI) 1139 2 6.012 13 22.672 86  61.913  583
BRD (WHO)         24.774 94 57.298  455
NRW 484 2 1.541 5 5.615 28  13.225  117
Köln (RKI)         266 0  992  9
Köln (Stadt) 296       817 3  1369  11
Heinsberg         952 17  1238  32

 

In Heinsberg obliegt der Bundeswehr die Verteilung von Atemschutzmasken und anderen Schutzausrüstungen. Unsere Presse mokiert sich unterdessen über Hilfslieferungen aus China, Russland und Kuba, weil sie in Italien und anderswo gerne akzeptiert werden.

Die Hoffnung auf Abschwächung der Infektion ist geschwunden. Die Zahlen wachsen weiterhin exponentiell. Die Kontaktsperren bleiben bis zum 20. April. Das Robert-Koch-Institut verspricht systematische Tests, macht sich aber Sorgen, ob Intensivbetten, Material und Personal reichen, wenn die Fallzahlen weitersteigen. Tatsächlich aber ist der Mangel organisiert.


Bettenschwund

Charles Pauli vom ISW (26. März ) macht auf eine Untersuchung von Statista aufmerksam:

Bettenzahl in deutschen Krankenhäusern bis 2019
Veröffentlicht von Rainer Radtke, 09.08.2019

Im Jahr 2017 wurden deutschlandweit rund 497.200 Krankenhausbetten gezählt. Damit hat sich die Anzahl von Krankenhausbetten verglichen mit dem Jahr 1991 um rund ein Viertel verringert. Die Reduktion entfiel dabei auf die öffentlichen und freigemeinnützigen Träger, wohingegen die privaten Häuser ihre Kapazitäten ausbauen konnten. Im internationalen Vergleich der relativen Raten von Krankenhausbetten belegt die Bundesrepublik mit rund 8 Betten je 1.000 Einwohner jedoch nach wie vor einen Spitzenplatz.

Die Verringerung der Bettenkapazitäten folgt dem seit Jahren rückläufigen Trend im Bereich der Krankenhäuser insgesamt: zählte das Statistische Bundesamt 1991 deutschlandweit noch 2.400 Kliniken, so waren es 2017 nur noch 1.942 Häuser. Die privaten Träger konnten dabei ihren Anteil von 21,7 Prozent im Jahr 2000 auf rund 37 Prozent der Häuser im Jahr 2017 ausbauen. Gleichzeitig ist die Zahl der behandelten Patienten seit den frühen neunziger Jahren um rund 25 Prozent auf aktuell rund 19,4 Millionen Fälle gestiegen. Aus weniger Betten und Kliniken aber mehr zu behandelnden Patienten resultiert eine deutlich verringerte Verweildauer von derzeit durchschnittlich 7,3 Tage (1992: 13,3 Tage).


Bertelsmann

Noch am 15. Juli des vergangenen Jahres gab die Bertelsmann Stiftung das Ergebnis einer Studie des Berliner Instituts für Gesundheits- und Sozialforschung (IGES) bekannt. Ergebnis: Eine bessere Versorgung sei nur mit halb so vielen Kliniken möglich. Die Studie war im Auftrag von Bertelsmann entstanden.

Wörtlich hieß es: «In Deutschland gibt es zu viele Krankenhäuser. Eine starke Verringerung der Klinikanzahl von aktuell knapp 1.400 auf deutlich unter 600 Häuser, würde die Qualität der Versorgung für Patienten verbessern und bestehende Engpässe bei Ärzten und Pflegepersonal mildern. Eine Reduzierung der Klinikanzahl würde zu einer besseren medizinischen Versorgung der Patienten in Deutschland führen.»

Der Bertelsmann-Vorschlag erweist sich nicht erst gegenwärtig als vernunftwidrig. Er erklärt sich aber durch den Zwang, Kapital, das ins Gesundheitswesen fließt, mit hohen Renditen zu verwerten, zumal in einer sich verschärfenden Überproduktionskrise.


Die maskierte Finanzkrise

Obwohl immer weitere gesellschaftliche Bereiche Warencharakter annehmen und kapitalistischer Verwertung zugeführt wurden, hat sich im Laufe der Jahre ein Schuldenberg im Volumen von 327 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Welt aufgehäuft – Kreditmassen, in denen Ablagerungen der Krise von 2008 enthalten sind. Diese Kreditmassen wachsen gegenwärtig gewaltig an, bleiben so uneinbringlich wie vordem, bilden Blasen, die im nächsten Crash platzen oder in einem großen Krieg verschwinden. Schuldenschnitte wären vernünftiger, angesichts imperialistischer Konkurrenz sind sie aber unwahrscheinlich.

Die Billionen Dollar und Euro, die panikartig imZuge der Krise, angeblich als Seuchenfolge, in die Geldmärkte gepumpt werden, können allenfalls kurzfristig die Börsen beruhigen. Eine Lösung der Krise ist davon nicht zu erwarten. Schon gar nicht wird sie mit der Seuche beendet sein. Deren wirtschaftliche Effekte sind vergleichsweise überschaubar. Wenn für Kurzarbeit und zur Vermeidung des Bankrotts kleinen und mittleren Unternehmen insgesamt 60 Mrd Euro Hilfen angeboten werden, lassen allein die vierstelligen Milliardensummen, die für Großkonzerne und Banken vorgesehen sind, die Größenordnung der Zusammenbrüche erkennen, die regierungsseitig gefürchtet sind und abgewendet werden sollen. Die Kölnische Rundschau machte heute mit der Schlagzeile auf: «Weise hoffen auf rasche Erholung». Unterzeile: «Corona-Krise führt zu scharfer, aber möglicherweise kurzer Rezession.» Tatsächlich aber wahrscheinlicher, dass selbst die beispiellosen und endlosen Billionenkredite nicht hinreichen werden, den Zusammenbruch des Finanzsystems auch nur hinauszuschieben. Es ist also weniger der Coronavirus, der uns von der Straße jagt, in den Wohnungen isoliert, die Bundeswehr mobil macht und Grundrechte außer Kraft setzt, sondern die Furcht der Superreichen vor dem Ende ihrer Macht.


Epidemische Lage von nationaler Tragweite

Am vergangenen Mittwoch, 25. März 2020, wurde im Bundestag in aller Eile das «Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite» beschlossen. Es ändert vor allem das Infektionsschutzgesetz (IfSG) und ermächtigt das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) im Falle einer «Epidemischen Notlage von nationaler Tragweite» zu weitreichenden Rechtsverordnungen, sobald die Bundesregierung eine solche Notlage festgestellt hat. Es ist in der Tat ein Ermächtigungsgesetz, das Verwaltungshandeln von einer Bindung an Gesetze weitgehend befreit.

Schon das alte Infektionsschutzgesetz hat das Gesundheitsministerium in einem solchen Fall zu weitreichenden Einschränkungen von Grundrechten ermächtigt. Das betraf die grundgesetzlich garantierte Freiheit der Person, die Versammlungsfreiheit und die Unverletzlichkeit der Wohnung. Nunmehr unterwirft der neugefasste § 28 das Grundrecht der Freizügigkeit ausdrücklich der Entscheidungsgewalt der Gesundheitsbehörden. Sie können Personen verpflichten, «den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen» oder öffentliche Plätze nicht zu betreten, also Aufenthaltssperren zu verfügen.

In § 5, Absatz 3, werden unbenannte Ausnahmen von den Vorschriften desselben Gesetzes zugelassen, «um die Abläufe im Gesundheitswesen und die Versorgung der Bevölkerung aufrecht zu erhalten». Offenbar ein Gesetz, das auch noch die Umgehung seiner Vorschriften, also die Willkür normiert.

Absatz 3, Nr. 4 bis 6, befugt die Gesundheitsbehörden zur Beschaffung, Bevorratung und Verteilung von Arzneimitteln und Medizinprodukten. Absatz 5 ermöglicht gar, und das ist zu begrüßen, die Aufhebung des Patentschutzes «im Interesse der öffentlichen Wohlfahrt oder im Interesse der Sicherheit des Bundes».

Eine Befugnis, technische Mittel einzusetzen, um Kontaktpersonen Infizierter nachzuverfolgen, ist zwar nicht mehr ausdrücklich vorgesehen. Aber ins SGB V wird nunmehr ein § 287a eingefügt, mit dem bestimmt wird, dass bei länderübergreifenden Vorhaben der Versorgungs- und Gesundheitsforschung, an denen «nicht-öffentliche Stellen oder öffentliche Stellen des Bundes oder der Länder » beteiligt sind, § 27 des Bundesdatenschutzgesetzes (Datenverarbeitung zu wissenschaftlichen oder historischen Forschungszwecken und zu statistischen Zwecken) Anwendung finden soll. So soll eine einheitliche Rechtsauslegung gewährleistet werden – und eine Hintertür offen bleiben.


Epidemischer Grundrechtsschwund

Morgen, am 1. April 2020, wird Ministerpräsident Laschet ein Epidemie-Gesetz in den Landtag von NRW einbringen. Es heißt vollständig: «Gesetz zur konsequenten und solidarischen Bewältigung der COVID-19-Pandemie in Nordrhein-Westfalen und zur Anpassung des Landesrechts im Hinblick auf die Auswirkungen einer Pandemie». Es gilt in einer «epidemischen Lage von landesweiter Tragweite», die auszurufen dem Bundestag oder dem Landtag vorbehalten ist.

Das Gesetz bestimmt, daß Pfleger, Ärzte und Rettungskräfte zum Epidemie-Einsatz verpflichtet werden können. «Jede Person» mit einer abgeschlossenen medizinischen oder Pflegeausbildung kann künftig zum Dienst in Krankenhäusern verpflichtet werden. Denn nach § 16 können durch Anordnungen die Grundrechte der körperlichen Unversehrtheit (Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes) und der Freiheit der Person (Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes) eingeschränkt werden.

Das Gesundheitsministerium kann Krankenhäuser zur Schaffung von Behandlungskapazitäten zwingen und Schutzkleidung sicherstellen. Es darf medizinisches, pflegerisches und sanitäres Material beschlagnahmen. Weitergehende Anordnungen sind möglich, um die angesichts der epidemischen Lage erforderlichen Aufgaben zu erfüllen. § 17 bestimmt, dass Rechtsbehelfe gegen Maßnahmen und Anordnungen nach diesem Gesetz keine aufschiebende Wirkung haben. § 18 formuliert, wie es in der Begründung des Gesetzes heißt, « die zum nachhaltigen Vollzug des Gesetzes sinnvollen Ordnungswidrigkeitentatbestände» und sieht Bußen bis zu einer halben Million Euro vor.

Zudem ermächtigt das Gesetz die Landesregierung, Schulprüfungen in diesem Jahr ausfallen zu lassen, Versetzungen anzuordnen und Prüfungsregeln an Unis zu lockern. Die Wahl der Personalvertretungen wird um ein Jahr verschoben.

Sowohl Grüne wie SPD zeigen sich überrascht. Den Entwurf des Epidemie-Gesetzes kennen sie erst seit Sonntagabend. Der SPD-Fraktionsvorsitzende im NRW-Landtag, Thomas Kutschaty sagte dem WDR: Der Landtag könne «nicht einfach der Landesregierung Kompetenzen geben, die massiv in Grundrechte eingreifen. Wir sind in einer Gesundheitskrise und nicht in einer Demokratiekrise. Ein Parlament darf seine Kernkompetenzen nicht aufgeben, das ist ein Verstoß gegen die Gewaltenteilung.»


Einsatz der Bundeswehr

Am 26. März berichtete laut Informationsstelle Militarisierung (IMI) die Stuttgarter Zeitung, dass das Innenministerium von Baden-Württemberg mit der Bundeswehr im Gespräch ist, ob nicht Soldaten die Polizei unterstützen könnten. Die sei angesichts des hohen Krankenstands geschwächt. Offenbar werden gemeinsame Patrouillen von Polizisten und bewaffneten Soldaten vorbereitet.

Auch der SPIEGEL berichtete von der Mobilisierung der Bundeswehr. Bis zum 3. April sollen 15.000 Soldaten für den Einsatz im Inland bereitstehen.

Nach den aktuellen Plänen sollen in einer Woche 6.000 Soldaten für die nicht weiter definierte «Unterstützung der Bevölkerung», 2500 Logistiksoldaten mit 500 Lastwagen für «Lagerung, Transport, Umschlag» und 18 Dekontaminationsgruppen mit etwa 250 Soldaten der ABC-Abwehr für Desinfektionsaufgaben zur Verfügung stehen. Darüber hinaus sollen allerdings auch über 6.000 Soldaten, 5.500 für «Absicherung/Schutz» und 600 Militärpolizisten der Feldjäger für «Ordnungs-/Verkehrsdienst» einsatzbereit gemacht werden.

Einen derartigen Großeinsatz der Bundeswehr hat es noch nicht gegeben. Geführt wird er von Generalleutnant Martin Schelleis, dem vier regionale Stäbe unterstellt sind. Dabei handelt es sich nicht um die bisher in Katastropheneinsätzen, wie bei Hochwasser und extremen Schneefällen, erprobten Strukturen der Zivil-Militärischen-Zusammenarbeit. Stattdessen werden die Führungsstrukturen der Kampftruppen der Bundeswehr aktuell als regionale militärische Führungsstrukturen vorbereitet.

Allenfalls die Bereitstellung von knapp 9.000 Soldaten für «Unterstützung der Bevölkerung», Logistik und ABC-Abwehr lässt sich mit dem Artikel 35 GG (Amts- und Katastrophenhilfe) vereinbaren. Aber nicht der Einsatz von über 6.000 Soldaten und Feldjägern für Polizeiaufgeben. Wenn wir nicht davon ausgehen wollen, daß die Regierung den Spannungs- und Verteidigungsfall (Artikel 115a GG) vorbereitet, sind Einsätze der Bundeswehr im Inland von der Verfassung nur noch nach Artikel 87a, also für den Fall des Inneren Notstands, vorgesehen. Dazu muss aber der Bund, ein Land oder die Verfassungsordnung durch militärisch organisierte und bewaffnete Unruhen bedroht sein. Ohne diese Bedrohung sei es Verfassungsbruch, sagt die Informationsstelle Militarisierung. Tatsächlich aber ist es Hochverrat.


Klaus, 31. März 2020
Bild: Gouache von Walter Stehling