Zur Tarifeinheit
Am 13. Januar 2015 diskutierte der Kreisvorstand Köln der DKP über das Tarifeinheitsgesetz. Christine gab dazu die nachfolgende Einleitung:
Tarifeinheit
Am 11. Dezember des vergangenen Jahres wurde das »Gesetz zur Regelung der Tarifeinheit« von Andrea Nahles (Arbeits- und Sozialministerin, SPD) ins Bundeskabinett eingebracht und dort beschlossen. Es soll im ersten Quartal 2015 vom Bundestag verabschiedet werden und im Sommer dieses Jahres in Kraft treten.
Nahles sagt dazu: »Eine starke Sozialpartnerschaft braucht eine starke Arbeitnehmerinteressenvertretung. Mit dem Gesetz wollen wir Kooperation und gütliche Einigung bei Tarifkollisionen fördern.«
Arbeitgeberpräsident Kramer meint: »Das Tarifeinheitsgesetz verhindert die Zerfaserung der Tarifordnung« und forderte am 7. Dezember, der Gesetzgeber müsse 2015 das Gesetz zur Tarifeinheit endlich umsetzen. Und die Industrie-Lobby bei den Medien äußerte sich durch Spiegel-Redakteur Jan Fleischhauer, der sich wünschte »wir hätten eine Margaret Thatcher, die mit dem Streikspuk Schluss macht, der Deutschland in Atem hält.« – »Fleischhauer muss man nicht unbedingt ernst nehmen,« schreibt das verdi-Magazin ›Publik‹, »aber er spricht aus, wovon viele Marktradikale in Politik, Wirtschaft und Medien träumen.…«
Es gibt eine eiserne Regel, Genossen, dass bei uns alle roten Lampen aufflammen müssen, wenn unser Gegner so nachhaltig und kompromißlos wie in diesem Fall ein Gesetz fordert – obwohl schon 2010 eine gemeinsame Forderung von BDA und DGB nach einem Tarifeinheitsgesetz durch Widerstand an der Gewerkschaftsbasis zu Fall gebracht wurde. Dass gerade jene, die ansonsten die freie Konkurrenz ohne jegliche staatliche Einmischung fordern, wenn es um ihre Profitinteressen geht, jetzt dieses Gesetz gerne schnellstens verkündet sähen, sagt eigentlich mehr darüber aus, als manche juristische Bewertung.
Worum geht es also bei diesem Gesetz, das laut Kramer die »Zerfaserung der Tarifordnung« verhindern soll? Etwa um einheitliche Löhne oder einheitliche Arbeitsbedingungen in einem Betrieb? Keineswegs, denn die wurden durch die Unternehmer selbst zerfasert durch Teilung der Beschäftigten in Stammbelegschaft, Leiharbeiter, Beschaftigte über Werksverträge, Niedriglöhner, Zeitarbeiter, alle prekär Beschäftigten.
Diese Praxis soll keineswegs durch das Gesetz ausgeschaltet werden.
Im Gesetzentwurf steht: »Soweit sich die Geltungsbereiche … kollidierender Tarifverträge verschiedener Gewerkschaften überschneiden, sind im Betrieb nur die Rechtsnormen des Tarifvertrags derjenigen Gewerkschaft anwendbar, die zum Zeitpunkt des Abschlusses des zuletzt abgeschlossenen kollidierenden Tarifvertrags im Betrieb die meisten Mitglieder hat.«
Das heißt in der Praxis, dass die kleineren kampfstarken Gewerkschaften oder Berufsverbände wie GDL oder Cockpit nur noch ein Anhörungsrecht haben oder sich mit der größeren Gewerkschaft zu einer Tarifgemeinschaft zusammenschließen können, womit sie dann allerdings wahrscheinlich ihre Kampfkraft verlieren würden, was mit dem Gesetz ja auch beabsichtigt ist.
Würde man wirklich die Tarifeinheit und die Flächentarifverträge stärken wollen, so wären Maßnahmen zur Eindämmung der Tarifflucht und des Lohndumpings, z.B. die sog. OT-Mitgliedschaft in Arbeitgeberverbänden (Mitgliedschaft ohne Tarifbindung der Arbeitgeber) oder die Betriebszersplitterung erforderlich. Da werden Unternehmen und Betriebe gespalten, die Trennlinien verlaufen oft mitten durch den Produktionsprozess, um Teile der Belegschaft einem schlechteren Tarif zu unterwerfen oder die Tarifbindung ganz abzuschütteln.
Durch Outsourcing und Gründung neuer Betriebe mit den Belegschaften der ausgegliederten Betriebsteile haben die Unternehmer selbst die Zerfaserung der Tarifordnung betrieben.Es ist doch gängige Praxis, dass die Beschäftigten in solchen neuen Betrieben zu erheblich schlechteren Löhnen und Arbeitsbedingungen arbeiten müssen. Und dass dort keine Betriebsratsstrukturen und oftmals nicht einmal Gewerkschaftsmitglieder vorhanden sind.
Was also ist ein Betrieb? Z.B. ein ganzes Krankenhaus oder die ausgelagerten ehemaligen Betriebsteile wie: Medizinisches Personal, Pflegekräfte, Verwaltung, Verpflegung, Reinigung, Transport innerhalb des Krankenhauses jedes für sich?
Was früher alles unter einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag Luftfahrt fiel, ist heute aufgeteilt und hat eigene gewerkschaftliche Interessenvertretungen wie:
- Fliegendes Personal = VC Cockpit
- Kabinenpersonal = UFO
- Techniker und Ingenieure = TGL
- Fluglotsen = GdF
- Feuerwehr = DFeuG
- Servicekräfte (für die Butterbrote im Flieger) = GDS
- dazu kommen noch Flugplatzpersonal Abfertigungspersonal, Transport- und Kontrollkräfte, Verwaltungspersonal, Reinigungskräfte, von denen ich nicht weiß, ob sie eigene Interessenvertretungen haben oder nicht.
Die Deutsche Bahn hat z. B. aus einem Betrieb 930 Betriebe gemacht.
Welcher Tarifvertrag ist denn gültig, wo solche, oftmals kleineren Betriebe überhaupt keine Gewerkschaftsmitglieder haben ?
Punkt 2: Wer entscheidet eigentlich, welches die mitgliederstärkste Gewerkschaft in einem Betrieb ist, mit der ein Tarifvertrag abgeschlossen wird? Im Gesetzentwurf habe ich lediglich in der Änderung des Arbeitsgerichtsgesetzes diesen Passus gefunden:
»Insbesondere über die Zahl der Mitglieder oder das Vertretensein einer Gewerkschaft in einem Betrieb kann Beweis auch durch die Vorlegung öffentlicher Urkunden angetreten werden. … Der neue Absatz 3 stellt klar, dass zur Beweisführung eine notarielle Erklärung … verwendet werden kann.« Das heißt im Streitfall über die Berechtigung einer Gewerkschaft zum Tarifabschluß – und die wird es sicher nicht wenige geben – müssen bei einem Notar alle Mitgliederlisten offen gelegt werden, um die notarielle Bescheinigung zu bekommen. Und das u.U. vor jeder Tarifrunde. Man kann sich ausmalen, wie lange bei solch vorprogrammierten Streitigkeiten, deren Ausgang über Wohl und Wehe einer Gewerkschaft bzw. Interessenvertretung entscheidet, ein Tarifabschluss dauern kann.
Und wer garantiert, dass solche Mitgliederlisten nicht in die Hände der Arbeitgeber fallen? Auch nur der Verdacht, dass so etwas passieren kann, wird sicher manchen Beschäftigten von einer Mitgliedschaft abhalten.
Denn eines ist klar: Abgesehen von den größeren Interessenvertretungen, die ich eben aufgezählt habe, stehen jetzt schon gelbe und Pseudo-Gewerkschaften wie Deutscher Beamtenbund, Deutscher Journalistenverband, die Komba, die TNT-Postgewerkschaft, die PIN, der Deutsche Handelsgehilfenverband und die christlichen Gewerkschaften, mit denen es z. B die verdi zu tun hat, in den Startlöchern, um Mitglieder zu werben, wenn auch nur für ein halbes Jahr und mit Höchstbeiträgen von 2 €. Firmen, die sich zwecks Lohndrückerei gelbe Gewerkschaften ins Haus holen, werden bei gesetzlich angeordneter Tarifeinheit leichtes Spiel haben, der Dumpinggewerkschaft zur Mehrheit zu verhelfen und so den Mitgliedern der DGB-Gewerkschaften den Tarifschutz entziehen.
Und jetzt kommen wir unter Punkt 3 zum Angriff auf das Streikrecht. Bei den letzten Streiks von GDL und Cockpit haben Politik und Medien immer wieder Versuche gestartet, den »betroffenen Bürger« gegen die Streikenden aufzubringen. In Straßeninterviews wurden Meinungen kolportiert, dass Streiks, von denen die Allgemeinheit der Bevölkerung betroffen ist, verboten werden müssten. Die CSU hat unlängst schon gesetzlich verordnete Zwangsschlichtungen gefordert. In jedem Fall sollen immer die Streikenden nachgeben, auch wenn kein ausreichendes Streikergebnis erzielt worden ist. Nie wurde gefordert, dass die Bahn oder die Lufthansa mal nachgeben und ein vernünftiges Angebot auf den Tisch legen sollten.
Im Gesetzentwurf ist die Einschränkung des Streikrechts nur verklausuliert zu finden. Da heißt es lediglich in der Begründung zur Gesetzesänderung:
»Über die Verhältnismäßigkeit von Arbeitskämpfen,mit denen ein kollidierender Tarifvertrag erwirkt werden soll, wird im Einzelfall im Sinne des Prinzips der Tarifeinheit zu entscheiden sein … Der Arbeitskampf dient nicht der Sicherung der Tarifautonomie, soweit dem Tarifvertrag, der mit ihm erwirkt werden soll, eine ordnende Funktion offensichtlich nicht mehr zukommen würde.«
Das heißt, der Streik einer Minderheitsgewerkschaft im Betrieb ist unverhältnismäßig, wenn mit ihm ein Tarifvertrag erwirkt werden soll, der im Betrieb nicht anwendbar ist, weil ein anderer Tarifvertrag Vorrang hat, da er mit der Mehrheitsgewerkschaft abgeschlossen wurde.
Verdi sagt dazu, dass das Streikverbot für die Minderheitengewerkschaft über die Rechtsprechung kommen soll. Streiken nämlich deren Mitglieder, ggf. sogar recht erfolgreich, besteht die Gefahr, dass ein Arbeitsgericht den Streik für unverhältnismaßig und damit für unberechtigt erklärt, da er ja de facto keinen anwendbaren Tarifvertrag zum Ziel hat. Klagen von Unternehmern gegen Gewerkschaften wegen Produktions- und/oder Gewinnausfall wird damit Tür und Tor geöffnet. Ergänzend ist anzumerken, dass ein für alle geltender Tarifvertrag der Mehrheitsgewerkschaft dann ja auch eine für alle geltende Friedenspflicht nach sich zieht.
Die Initiatoren des Gesetzes, die Arbeitgeberverbände, sind dennoch nicht zufrieden. Der Entwurf enthält nämlich kein ausdrückliches Streikverbot. Dies war das eigentliche Ziel der Initiative. Ministerin Nahles spendet Trost: Sie erwarte gerichtliche Untersagungen, da der Streik für einen letztlich unwirksamen Tarifvertrag nicht verhältnismaßig sei. Diese Erklärung ist ein Skandal: Es ist das erste Mal, in der Geschichte der Bundesrepublik, dass ausgerechnet eine sozialdemokratische Ministerin sich für ein Streikverbot ausspricht.
Aber wundern über die Haltung der SPD können wir uns ja wohl nicht mehr, Genossinnen und Genossen.
Aktuell bestreiten die Arbeitgebervertreter aus aller Welt in der Internationalen Arbeitsorganisation ILO neuerdings, dass dem ILO-Übereinkommen Nr. 87 zur Vereinigungsfreiheit das Recht der Arbeiter und Angestellten auf Streik entnommen werden kann – das wäre die Kappung einer Rechtsauslegung, die in den letzten 60 Jahren unbestritten war.
Und damit komme ich zum letzten Punkt. Wie stehen die Gewerkschaften zum Gesetzentwurf.
Vorsitzender Bsirske von verdi sagt: »Tarifeinheit ist grundsätzlich erstrebenswert, damit Beschäftigte nicht gegeneinander ausgespielt werden, aber das müssen wir mit gewerkschaftlichen Mitteln erreichen. Gewerkschafter können nicht die Hand reichen für einen solchen Eingriff ins Streikrecht.«
Verdi lehnt also, gemeinsam mit NGG und GEW, ein solches Gesetz ab, wie schon 2010, als der verdi-Bundesvorstand im DGB-Vorstand erst dem gemeinsamen Vorstoß von BDA und DGB zustimmte, dann aber auf Grund vieler Kritik von der Basis seine Meinung änderte und letztendlich auch der DGB aus diesem Projekt ausstieg.
Heute sieht es im DGB anders aus. Eine Mehrheit im Bundesvorstand ist wohl für ein Tarifeinheitsgesetz, was wohl dem Einfluss von IG-Metall und IGBCE zu verdanken ist, die beide die Gesetzesinitiative begrüßen. Wetzel, der IGM-Vorsitzende meint: »Mit dem Mehrheitsprinzip ist geklärt, dass eine solidarische Tarifpolitik für alle Beschaftigten-Gruppen Vorrang vor Partikularinteressen hat«. Die EVG hat wohl Einwendungen, lehnt aber nicht grundsätzlich ab. Von der IG-Bau und der GDP hört man gar nichts.
(Ich meine, dass man getrost davon ausgehen kann, dass die Befürworter bei den Gewerkschaften Angst vor der Kampfbereitschaft der kleinen Spartengewerkschaften haben. )
Welchen Widerstand gibt es gegen ein solches Gesetz? In erster Linie bei den kleineren Spartengewerkschaften. Cockpit will mit Vertretung durch Gerhart Baum, dem ehemaligen Innenminister, Verfassungsbeschwerde wegen »erheblicher Eingriffe in Grundrechte« z. B. Art. 9, Abs. 3 GG »Koalitionsfreiheit«, einlegen. Da werden sich wohl andere wie Marburger Bund etc. anschließen.
Verdi hat eine Unterschriftenaktion im Internet gestartet, die bis zum 11. Dezember mehr als 15.000 Unterstützer/innen bekommen hat.
Es hat sich ein Bündnis gebildet »Hände weg vom Streikrecht – für volle gewerkschhaftliche Aktionsfreiheit", das von einem »Türöffnergesetz« spricht, das weitere Einschränkungen der Rechte der arbeitenden Bevölkerung nach sich ziehen wird. Es ruft zu einer Aktionskonferenz am 24. Januar in Kassel auf.
Was können wir tun, Genossen?
Natürlich beteiligen wir uns an der Unterschriftenaktion von verdi.
Aber wir müssen vor allem versuchen, das Thema Tarifeinheit und Streikrecht an der gewerkschaftlichen Basis zu einer Diskussion zu machen und den Widerstand zu stärken. Denn welch ein ungeheurer Angriff von Seiten des deutschen Kapitals da gestartet wurde, ist den meisten Gewerkschaftlern noch nicht bewusst.
Und noch eins, Genossen. Ist uns selbst eigentlich bewusst, dass zur Zeit mit Tarifeinheitsgesetz, mit TTIP, CETA und PISA, auch mit der Kriegstreiberei in der Ukraine, der umfassendste, weltweite Großangriff des Kapitals seit Jahrzehnten, wenn nicht gar seit Jahrhunderten auf die Lebensgrundlagen der arbeitenden Menschen gestartet wird? Ich denke mir, dagegen sind die ideologischen Diskussionen in unserer Partei nur Mückenproblemchen und sollten vor dieser riesengroßen Auseinandersetzung betrachtet und zurückgestellt werden.
Danke fürs Zuhören.
Grafik: Nahverkehrsgewerkschaft
Unterschriftensammlung Tarifeinheit: JA – Eingriff ins Streikrecht: NEIN
Stand 29.05.2015: 84 122 Teilnehmer/Innen