2 Referate, die gestern auf der MV der Innenstadtgruppe gehalten worden sind
Mitgliederversammlung DKP Köln Innenstadt 20. September 2016
Liebe Leser,
im Anhang bekommt Ihr zwei Referate, die gestern auf der MV der Innenstadtgruppe gehalten worden sind: "Blaupause Jugoslawien" von Dirk, "Vorbereitung des Kriegsfalls, womöglich des Staatsstreichs" von mir. Außerdem ein passendes Bild von der Bundeswehr auf 70 Jahr-Feier des Landes NRW in Düsseldorf am 27. August. Es ist von "Berndt Bellwinkel".
Vorbereitung des Kriegsfalls, Regeln für den Staatsstreich
Referat über das Weißbuch der Bundeswehr und die Konzeption Zivile Verteidigung.
Liebe Genossinnen und Genossen,
der Krieg wird vorbereitet.
Dem dient die Veröffentlichung des neuen Bundeswehrweißbuchs im Juli und die „Konzeption Zivile Verteidigung“ (KZV) im August.
Am 23. August schlagzeilte die Kölnische Rundschau: „Bund bereitet Bevölkerung auf den Kriegsfall vor“.
Das Weißbuch (S. 28) klärt uns über Kriegsursachen auf. Die internationale Ordnung, wie sie nach Ende des Zweiten Weltkrieges geschaffen worden sei und noch heute mit ihren Organisationen und Institutionen den Rahmen der internationalen Politik setze, sei im Umbruch. Die Treiber des Umbruchs: Globalisierung und Digitalisierung. Sie hätten zu einer weltweiten, alle gesellschaftlichen Bereiche durchdringenden Vernetzung geführt. „Immer mehr Menschen erhalten verbesserten Zugang zu Information und Technologie. Diese politischen, ökonomischen und technologischen Verflechtungen ziehen weitreichende gesellschaftliche und soziale Wandlungsprozesse nach sich. Der unsere Kommunikation und unser Handeln zunehmend dominierende Cyber- und Informationsraum ist Ausdruck dieser weltumspannenden Verflechtung. Gleichzeitig befördert die Globalisierung auch die Vernetzung und Verbreitung von Risiken und deren Folgewirkungen. Dies reicht von Epidemien über die Möglichkeit von Cyberangriffen und Informationsoperationen bis zum transnationalen Terrorismus.“
Als apokalyptische Reiter der Sicherheitsoffenbarung gelten im Weißbuch: Antiglobalisierung, introvertierter bzw. radikaler Nationalismus, Extremismus, religiöser Fanatismus, Werte- und Normenverfall, die demographische Entwicklung und die Urbanisierung. Das alles als zwingende Konsequenz der unvermeidlichen Globalisierung und Digitalisierung. (S. 29)
Das sind, wollten wir dem Weißbuch folgen, die Kriegsursachen, nicht etwa der umfassende Herrschaftsanspruch, der sich aus dem prinzipiell unstillbaren Bedarf der imperialistischen Staaten an Rohstoffen und Energie herleitet und auf Seite 41 folgendermaßen begründet wird. „Prosperität unseres Landes und Wohlstand unserer Bürgerinnen und Bürger hängen auch künftig wesentlich von der ungehinderten Nutzung globaler Informations-, Kommunikations-, Versorgungs-, Transport- und Handelslinien sowie von einer gesicherten Rohstoff- und Energiezufuhr ab. Eine Unterbrechung des Zugangs zu diesen globalen öffentlichen Gütern zu Lande, zur See, in der Luft sowie im Cyber-, Informations- und Weltraum birgt erhebliche Risiken für die Funktionsfähigkeit unseres Staates und den Wohlstand unserer Bevölkerung. Neben terroristischen Anschlägen kommen dabei Piraterie, politische, wirtschaftliche oder militärische Zwangsmaßnahmen ebenso als mögliche Ursachen in Betracht wie Staatszerfall und regionale Krisen. Die wachsenden Investitionen verschiedener Staaten in Fähigkeiten, die Dritten den Zugang zu bestimmten Regionen verwehren sollen, sind dabei von besonderer Relevanz.“
Interessant ist, dass uns all die genannten Güter im internationalen Verkehr als öffentliche präsentiert werden. Im Normalfall werden sie uns ja auf die private Rechnung gesetzt und bei Zahlungsverzug verweigert.
Das Weißbuch spricht von einer Verwischung der Grenzen von Krieg und Frieden. Wörtlich: „Das Merkmal hybrider Kriegführung, die Verwischung der Grenze zwischen Krieg und Frieden, stellt dabei besondere Herausforderungen an die Feststellung des Bündnisfalls nach Artikel 5 des NATO- Vertrags.“ (S. 65)
Hybride Kriegsführung heißt die Taktik, mit der die durch den umfassenden Herrschaftsanspruch begründeten strategischen Ziele umgesetzt werden sollen.
Darunter wird der Einsatz militärischer Mittel unterhalb der Schwelle eines konventionellen Krieges verstanden. „Hybrides Vorgehen zielt dabei auf die subversive Unterminierung eines anderen Staates ab. Der Ansatz verbindet verschiedenste zivile und militärische Mittel und Instrumente in einer Weise, dass die eigentlichen aggressiven und offensiven Zielsetzungen erst in der Gesamtschau der Elemente erkennbar werden.“ (S. 38)
Selbstverständlich haben damit andere angefangen. Und der Abwehr von hybriden Bedrohungen habe die effektive Vernetzung relevanter Politikbereiche zu dienen. Diese erhöhe „wesentlich die Aussichten erfolgreicher Resilienzbildung zur Abwehr hybrider Bedrohungen. Hierzu gehören auch ein besserer Schutz kritischer Infrastrukturen, der Abbau von Verwundbarkeiten im Energiesektor, Fragen des Zivil- und des Katastrophenschutzes, effiziente Grenzkontrollen, eine polizeilich garantierte innere Ordnung und schnell verlegbare, einsatzbereite militärische Kräfte. Politik, Medien und Gesellschaft sind gleichermaßen gefragt, wenn es darum geht, Propaganda zu entlarven und ihr mit faktenbasierter Kommunikation entgegenzutreten.“ (S. 39)
„Die materielle Infrastruktur von Staat und Wirtschaft ist ebenso Angriffsziel wie die öffentliche Meinung, die vielfach Versuchen externer Einflussnahme ausgesetzt ist.“ (S. 60)
So wird beiläufig die Ausübung von Grund- und Bürgerrechten, in diesem Fall (Artikel 5 GG) des Rechts, „seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten“ zur feindlichen Handlung.
Derartig totalitär verstandene Sicherheitsvorsorge dient als Vorwand für eine durchorganisierte Gesellschaft, kontrollierte Kommunikation, Medien- und Innenpolitik. Zitat: „Für die gesamtstaatliche Sicherheitsvorsorge ist die Stärkung von Resilienz und Robustheit unseres Landes gegenüber aktuellen und zukünftigen Gefährdungen von besonderer Bedeutung. Dabei gilt es, die Zusammenarbeit zwischen staatlichen Organen, Bürgerinnen und Bürgern sowie privaten Betreibern kritischer Infrastruktur, aber auch den Medien und Netzbetreibern zu intensivieren. Das Miteinander aller in der gemeinsamen Sicherheitsvorsorge muss selbstverständlich sein.“ (S. 48)
Wenn der Unterschied von Krieg und Frieden nicht mehr definierbar ist, braucht sich der beunruhigte Sicherheitspolitiker über einen Mangel an Kriegsgefahr keine Sorgen mehr zu machen. Folglich erörtert das Weißbuch eine unendliche Fülle von Bedrohungen, u.a. durch den internationalen Terrorismus, durch Cyberangriffe, durch die Beeinflussung der öffentlichen Meinung mittels digitaler Kommunikation, durch hybride Kriegsführung. Allerdings gebe es auch eine Renaissance klassischer Machtpolitik. Auf das Feindbild „böser Russe“ wird nicht verzichtet. „Durch seine auf der Krim und im Osten der Ukraine zutage getretene Bereitschaft, die eigenen Interessen auch gewaltsam durchzusetzen und völkerrechtlich garantierte Grenzen einseitig zu verschieben, stellt Russland die europäische Friedensordnung offen in Frage.“ (S. 31) „Ohne eine grundlegende Kursänderung wird Russland somit auf absehbare Zeit eine Herausforderung für die Sicherheit auf unserem Kontinent darstellen.“ (S. 32)
Mit solchen Bedrohungsszenarien belegt das Weißbuch die These von der Auflösung der Grenze von Krieg und Frieden. Vor allem rechtfertigt es implizit militärische Aktionen unterhalb der Schwelle des offenen Krieges, so wie wir sie von der Kriegführung der US-Armee in Afghanistan, Pakistan, Irak, Libyen und Syrien kennen. Allerdings verschweigt es die damit verbundene Gefahr des Übergangs zum offenen Krieg.
Die Verwischung der Grenze zwischen Krieg und Frieden ist militaristisches Programm und Kernaussage des Weißbuches. Damit wird der Übergriff des Militärischen auf das Zivilleben, die Militarisierung weiter Bereiche des Alltags, ihre Unterordnung unter militärische Ziele begründet.
In diesem Sinne ergänzt die „Konzeption Zivile Verteidigung“ die Einschätzung umfassender Bedrohung durch das Weißbuch. Es sei Aufgabe der Zivilen Verteidigung, sich auf die Abwehr der neuen Gefahren auszurichten, ohne dabei ihre Aufgaben bei der klassischen Landes- und Bündnisverteidigung zu vernachlässigen. Die wachsende Verwundbarkeit der modernen Infrastruktur und die Ressourcenabhängigkeit moderner Gesellschaften böten vielfältige Angriffspunkte. Die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und ihrer Trägersysteme, Konfliktführung mit terroristischen Mitteln und Angriffe im Cyberraum könnten zu einer direkten Bedrohung Deutschlands und seiner Verbündeten werden. Insgesamt sei zu erwarten, dass die Wechselwirkungen von innerer und äußerer Sicherheit weiter zunehmen. (KZV S. 13)
Bei hybriden Bedrohungen seien folgende Besonderheiten zu berücksichtigen:
- Vielfalt offener und verdeckter Angriffe,
- Mischung konventioneller und irregulärer Kräfte/Fähigkeiten,
- Mischung militärischer und ziviler Wirkmittel,
- Fokussierung auf verwundbare Strukturen als Angriffsziele,
- Unübersichtlichkeit potenzieller Schadensszenarien,
- Erschwerte Wahrnehmung und Zuordnung,
- kurze oder gänzlich entfallende Vorwarnzeiten.
Wir haben es also mit Überlegungen und Strategien zu tun, die sich demgegenüber auf die folgenden Elemente konzentrieren:
- Verbesserung des Bewusstseins für hybride Bedrohungen,
- Stärkung der Resilienz,
- Stärkung von Prävention, Krisenreaktion und Wiederaufbau,
- Verbesserung der Zusammenarbeit mit der NATO bei der Abwehr hybrider
Bedrohungen.
Mit einem Wort, die Abwehr durchdringt jetzt eine Vielzahl ziviler Bereiche. Wir bekommen es mit der Militarisierung des Alltags zu tun.
Das ist der Zweck der Konzeption Zivile Verteidigung.
Die KZV bezieht sich auf das Weißbuch. Auf S. 13 heißt es: „Die KZV folgt deshalb der Bedrohungseinschätzung der Bundesregierung, wie sie im 'Weißbuch 2016 zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr' beschrieben ist. … Besonderes Augenmerk mit Blick auf die Landesverteidigung erhielten dabei hybride Bedrohungen sowohl durch staatliche als auch nichtstaatliche Akteure.“
„Eine proaktive Informationsstrategie des Bundes und der Länder soll die Bevölkerung, Interessenvertreter, die Fachöffentlichkeit, die Medien, die Betreiber Kritischer Infrastrukturen sowie die politischen Entscheidungsträger auf mögliche Krisenfälle vorbereiten. Sie verfolgt das Ziel, die genannten Zielgruppen hinsichtlich möglicher Gefahren und Bedrohungen, ihrer möglichen Konsequenzen für den Staat und die Bevölkerung sowie über die Planungen von Gegenmaßnahmen und Schutzmöglichkeiten aufzuklären und zur Vorsorge anzuregen.“ (S. 16)
In der Öffentlichkeit sind insbesondere die Maßnahmen zur Vorsorge erörtert worden, wie beispielsweise die Sicherung bei Trinkwasser, Ernährung, Medizin, Kommunikation, Datenverarbeitung, Bargeld, Abwasser und Energie. Häufig, insbesondere bei der führenden Blättern, wurden diese Maßnahmen verglichen mit denen der fünfziger Jahre und waren Anlass für Satire, etwa wenn die FAZ an mehreren Tagen im August zur Illustration der Informationen über die KZV das Bild eines Hamsters wählte.
Und tatsächlich: „Die Bevölkerung soll durch geeignete Maßnahmen angehalten werden, zur Eigen-/ Erstversorgung bis zur Installation staatlicher Einzelmaßnahmen für einen Zeitraum von fünf Tagen je zwei Liter Wasser pro Person und Tag in nicht gesundheitsschädlicher Qualität vorzuhalten.“ (S. 46 f)
„Die Bevölkerung soll durch geeignete Maßnahmen zur Überbrückung kurzfristiger Stromausfälle
befähigt werden. Das Vorbereitungsmaßnahmen wie insbesondere Vorhaltung warmer Decken und Kleidung, beinhaltet entsprechende Vorrat an Kohle, Briketts oder Holz für Kamin/Ofen, Vorrat an Kerzen und Taschenlampen (Kurbel-, Solarleuchten) sowie Ersatzleuchtmitteln, Batterien, Streichhölzern, geladene Akkus an Computern, Mobiltelefonen, Telefonen, Vorhaltung solarbetriebener Batterieladegeräte, Vorhaltung netzunabhängiger Radiogeräte, Bargeldreserve.“ (S. 5)
Zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren sagt schon das Weißbuch: „Ausdrücklich zugelassen in Artikel 35 Absatz 2 Satz 2 und Absatz 3 des Grundgesetzes ist der Einsatz der Streitkräfte im Innern zur Hilfe bei Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücksfällen (Katastrophennotstand) auf Anforderung eines Landes oder auf Anordnung der Bundesregierung. Das Vorliegen eines
besonders schweren Unglücksfalls kommt auch bei terroristischen Großlagen in Betracht. Durch das Bundesverfassungsgericht wurde dabei bestätigt, dass die Streitkräfte zur Unterstützung der Polizeikräfte bei der wirksamen Bekämpfung des Unglücksfalls unter engen Voraussetzungen auch hoheitliche Aufgaben unter Inanspruchnahme von Eingriffs- und Zwangsbefugnissen wahrnehmen können.“ (S. 110)
Es handelt sich dabei um einen weiteren Schritt der Ausdehnung der Einsatzfälle.
Klaus Stein, 20. September 2016
Blaupause Jugoslawien
Am 11. März 2006 wurde Slobodan Milosevic tot in seiner Zelle im Haager Gefängnis aufgefunden. Es ist davon auszugehen, dass er ermordet wurde, wahrscheinlich durch die Verabreichung falscher Medikamente. Er wurde zu unbequem. Der Prozess gegen ihn vor dem sogenannten „Tribunal zur Verfolgung von Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien (ICTY)“ sollte ein Schauprozess werden. Eingerichtet und finanziert wurde das „Tribunal“ von den USA und den übrigen NATO-Staaten sowie ihrer Rüstungs- und Medienkonzerne. Milosevic sollte als Hauptverantwortlicher für den Bürgerkrieg in Jugoslawien vorgeführt und die völkerrechtswidrigen Aggressionen der NATO nachträglich legitimiert werden. Aber der Prozess geriet nicht. Der Angeklagte wurde zum Kläger, dem es gelang in brillanter Weise die Verantwortlichen für die Auslösung und Eskalation des Bürgerkriegs in Kroatien, Bosnien-Herzegowina und im Kosovo und die Kriegsverbrechen der NATO aufzudecken. Besonders hob er die Rolle Deutschlands bei der Zerschlagung Jugoslawiens hervor.
Sofort nach dem Zusammenbruch der UdSSR und des sozialistischen Staatenbundes in Europa gingen die Sieger daran, die „neue Weltordnung“ zu installieren. Im Siegestaumel sprachen die Apologeten des Neoliberalismus gar vom „Ende der Geschichte“. Die Schranken für den Expansionsdrang des Kapitals waren entfallen, die Rücksichtnahme aufs Völkerrecht erübrigte sich. Die NATO gab sich ein neues Konzept („Verteidigungspol. Richtlinien“ der NATO 1992), das die Durchsetzung „westlicher Werte“(sprich ökonomischer Interessen) und den Zugang zu fremden Ressourcen als Gründe militärischer Einsätze festgelegte. Der Rückfall zum Recht des Stärkeren.
Allerdings galt es, die letzten sozialistischen Reste, die Sozialistische Bundesrepublik Jugoslawien, zu beseitigen. Jugoslawien befand sich zu Beginn der 90er Jahre politisch und ökonomisch in einer tiefen Krise. Das hing natürlich mit dem Wegfall der UdSSR und der übrigen sozialistischen Länder als wichtigste Handelspartner zusammen. Und auch Mängel des jugoslawischen Modells des Markt-sozialismus und politische Fehler trugen dazu bei, wie z.B. die Erweiterung der Autonomierechte 1974 und die damit verbundene Aushöhlung der Bundeskompetenzen und Förderung von Abspaltungs-tendenzen der Teilrepubliken. Die bestehenden teilweise beträchtlichen Entwicklungsunterschiede zwischen diesen wurden dadurch verstärkt.
Aber vor allem war der Niedergang Jugoslawiens das Resultat westlicher Einmischung und Destabilisierungspolitik. Zu nennen ist hier neben der Unterstützung separatistischer Kräfte und Schüren ethnischer Konflikte durch westliche Geheimdienste die Rolle des IWF und der Weltbank. Seit Anfang der 80er Jahre geriet Jugoslawien immer mehr in die Abhängigkeit westlicher Kredite.
Die Folgen der vom IWF und Weltbank oktroyierten Schocktherapie, sog. „Strukturanpassungs-maßnahmen“ waren für die jugoslawische Wirtschaft verheerend. Das im Herbst 1989 zwischen dem jugoslawischen Premierminister Ante Markovic und George Bush (sen.) in Washington abgeschlossene finanzielle Hilfspaket sah im Gegenzug umfassende Wirtschaftsreformen vor, die u.a. die Auflösung des öffentlichen Sektors, die Beseitigung der Arbeiterselbstverwaltung in den Betrieben, die Privatisierung der jugoslawischen Wirtschaft und die Aufhebung ausländischer Investitions-beschränkungen zum Ziel hatten. In der Folge brachen in den ersten sechs Monaten von 1990 die Reallöhne um 41% ein. Das Bruttoinlandsprodukt ging 1991 um weitere 15% zurück, die Industrie-produktion fiel gar um 21%. Die jugoslawische Haushaltsstruktur brach zusammen, die bundes-staatlichen Institutionen waren angesichts der Anhäufung der Auslandsschulden so gut wie handlungsunfähig.
Das war der Nährboden für die Verschärfung der schwelenden ethnischen Spannungen und separatistischer Tendenzen. „Die vom IWF ausgelöste Haushaltskrise schuf somit vollendete Tatsachen: Sie führte de facto zur wirtschaftlichen Spaltung Jugoslawiens und ebnete den Weg für Kroatien und Sloweniens formale Abspaltung im Juni 1991“. (Michael Chossudovsky, Global Brutal, S.285)
In den Wahlen zu den Republiksparlamenten 1990 gewann die „Kroatische Demokratische Gemeinschaft“ Franjo Tudjmans dank des undemokratischen Mehrheitswahlsystems 62% der Stimmen. Sie trat ein für die Einführung der Marktwirtschaft und einen eigenen kroatischen Staat. In den übrigen Republiken gewannen ebenfalls nationalistische Parteien, die für die Abspaltung von Jugoslawien eintraten. In Slowenien hieß der Sieger DEMOS (Demokratische Union Sloweniens), in Mazedonien die „Innere Mazedonische Revolutionäre Organisation“ und in Bosnien-Herzegowina die radikalislamistische „Moslemische Vereinigung für Demokratische Aktion“ von Alija Izetbegovic. Einzig in Serbien und Montenegro konnte sich die kommunistische Partei („Der Bund der Kommunisten“), mittlerweile in Sozialistische Partei Serbiens umbenannt, behaupten und die Mehrheit der Parlamentssitze erringen. Folgerichtig fand am 23.12.1990 in Slowenien ein Referendum über die Unabhängigkeit statt, bei dem 85,5% der Teilnehmer dafür stimmten. Es folgten die Kroaten am 19.5.1991 mit über 90% Zustimmung zu einer Abspaltung und am 8.9. 1991 stimmten in Mazedonien 72% bei einem Referendum für die Unabhängigkeit. Die Abstimmungen in Kroatien und Mazedonien wurden von der serbischen Bevölkerungsminderheit boykottiert.
Die übereilte Anerkennung Sloweniens und Kroatiens am 23.12.1991 durch die deutsche Regierung war der Funken, der das Pulverfass der innerjugoslawischen ethnischen und religiösen Spannungen zur Explosion brachte. Damit trägt die deutsche Regierung unter Kohl die Verantwortung für den Ausbruch des Bürgerkriegs in Jugoslawien. Die Bilanz: 200.000 Tote, Millionen Flüchtlinge und immense materielle Schäden (nach Schätzungen zwischen 50 und 200 Milliarden US-Dollar). Die Anerkennung erfolgte gegen den Willen der USA und der übrigen europäischen Staaten und unter Missachtung aller Warnungen unter anderem der UNO. Alle Bemühungen der EG und der UNO, den Bürgerkrieg abzuwenden und zu einer friedlichen Lösung zu gelangen wurde von dem Vorstoß Genschers konterkariert. So hatten am 20.6. 1991 die Außenminister der KSZE-Staaten auf ihrer Tagung in Berlin eine Erklärung verabschiedet, in der sie sich für die Einheit Jugoslawiens aussprachen. Die Zustimmung der übrigen EG-Staaten wurde anschließend mit der Drohung, den zuvor am 10. Dezember von den Regierungschefs ratifizierten „Maastricht-Vertrag“ und die darin vereinbarte gemeinsame Außenpolitik platzen zu lassen, erpresst. Die EG-Außenminister beschließen zum 15.1. 1992 die Anerkennung der Unabhängigkeit der jugoslawischen Republiken.
Mit der Wegfall der Systemalternative und der Einverleibung der DDR hat Deutschland an politischen und ökonomischen Gewicht gewonnen. Im „Zwei-plus-Vier-Vertrag“, dem Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland vom 12. Sept. 1990, musste sich Deutschland als Bedingung für die Einigung auf die Einhaltung des Friedensgebots und die Unterlassung von Handlungen, die geeignet sind, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, verpflichten. Ein Jahr später war davon nicht mehr die Rede. Nun war die Zeit der erzwungenen militärischen Zurückhaltung vorbei. Man wollte wieder zur „Normalität“ zurückkehren und „Verantwortung“ übernehmen. Die „Verteidigungspolitischen Richtlinien“ von 1992 definierten die Aufrechterhaltung des freien Welthandels und den ungehinderten Zugang zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt als „vitale Sicherheitsinteressen“. Das Weißbuch von ´94 spricht ebenso von einer „neuen Verantwortung“ und verlangt den Einsatz der Bundeswehr nach „deutschen Wertvorstellungen“ (sprich: Interessen). Am deutschen Wesen soll wieder die Welt genesen! „Der Bürgerkrieg in Jugoslawien war der Hebel, mit dem die Verfassungsbeschränkungen für den weltweiten Einsatz der Bundeswehr aus den Angeln gehoben (…) werden sollte.“ (Hartmann, Die ehrlichen Makler, S.195)
Das rücksichtslose Vorpreschen Deutschlands bei der Anerkennung Sloweniens und Kroatiens war der erste Schritt zur Schaffung einer deutschen Einflußsphäre in Mittel- und Osteuropa und Ausdruck des Strebens nach Macht, Einfluss und einer Führungsrolle in Europa. Und es ging nicht zuletzt darum, sich für zwei Niederlagen an Jugoslawien zu revanchieren und die Ziele der Balkan-Politik des Kaiserreichs und des deutschen Faschismus zu realisieren. Von der Kontinuität in den Zielsetzungen der deutschen Außenpolitik und dem Bewußtsein der Herrschenden zeugt folgendes Zitat von Klaus Kinkel, der Genscher 1992 als Außenminister ablöste: „Nach außen gibt es etwas zu vollbringen, woran wir zweimal zuvor gescheitert sind(…)“(FAZ 19.3.1993). Gemeint ist der in den beiden Weltkriegen misslungene Versuch, Jugoslawien zu zerschlagen und die Hegemonie in Europa zu erlangen. In Anlehnung an die unter Wilhelm II. beliebten Losung „Serbien muss sterbien!“ forderte Kinkel im Mai '92: „Wir müssen die Serben in die Knie zwingen!“ (Die Zeit, 2.9.94)
Früh kam der Ruf nach einer militärischen Intervention mit deutscher Beteiligung. Im November 1991 forderte beispielsweise Wolfgang Schäuble, damals Innenminister, „notfalls auch militärisch einzugreifen, um das Blutvergießen zu beenden“. Eine Hetzkampagne gegen die Serben, Berichte über angebliche serbische Vergewaltigungslager in Bosnien etwa, sorgten für Empörung und eine breite Zustimmung in der Bevölkerung. Für die Eskalation der Gewalt wurde ausschließlich Serbien und Montenegro, ab dem 27.4.1992 „Bundesrepublik Jugoslawien“, verantwortlich gemacht. Über die Massenvertreibung der Serben aus der Krajina vermochte man sich indes nicht zu empören. Es blieb bei einer folgenlosen Kritik der UNO. Die antiserbische Haltung des Westens musste natürlich die sezessionistischen Kräfte ermuntern den Bürgerkrieg weiter zu eskalieren, weil man davon ausgehen konnte, dass für alles die Serben verantwortlich gemacht werden.
Deutschland tat sich besonders dabei hervor, den Bürgerkrieg weiter anzuheizen. So setzte sich die Bundesregierung wiederholt für die Aufhebung des Waffenembargos gegenüber den Moslems in Bosnien-Herzegowina ein. Da man damit nicht durchdrang, ging man dazu über, mit Waffenlieferungen aus den Beständen der NVA das Embargo zu umgehen. Waffenlieferungen aus dem Iran an die Moslems wurden vom Westen geduldet.
Auf die Schuldzuweisung an die serbische Seite folgten Sanktionen. Am 8. November '91 beschloss die EG Wirtschaftssanktionen gegen Serbien und Montenegro, denen sich die USA anschlossen. Am 30. Mai '92 beschloss der Sicherheitsrat auf Betreiben Deutschlands die Verschärfung der Sanktionen, nachdem ein Granatenangriff auf einem Markt in Sarajevo, der 22 Tote forderte, der serbischen Seite zugeschoben wurde. Diese Sanktionspolitik war das Vorspiel zu den militärischen Einsätzen der NATO gegen die serbische Seite.
Die NATO greift im Juli '92 in den Konflikt ein, anfangs mit Einsätzen zur vorgeblichen Embargoüberwachung. Deutsche Soldaten waren an diesen wie an weiteren Aktionen der NATO beteiligt. So an den AWACS-Einsätzen, an der Bildung der Schnellen Eingreiftruppe der NATO im Juni '95 und im Dezember '95 an den militärischen Maßnahmen zur Absicherung des Dayton-Abkommens. Die militärische Intervention der NATO war natürlich wenig geeignet, eine Deeskalation in Bosnien-Herzegowina, wo der Bürgerkrieg am blutigsten tobte, herbeizuführen. Entsprechende Bemühungen der UNO wurden regelmäßig konterkariert. Die militärische Intervention galt der Zurückdrängung der bosnischen Serben, die Ende '92 rund 70% des Territoriums von Bosnien-Herzegowina kontrollierten. Dieses Ziel war auch mit der Bildung einer moslemisch-kroatischen Föderation auf Druck Washingtons im März '93 verbunden, de facto ein Kriegsbündnis gegen die Serben, mit der Folge des endgültigen Scheiterns des Friedensplanes der UNO und der EU.
Zu einem Ende kam der Bürgerkrieg in Bosnien-Herzegowina erst mit dem Friedensabkommen in Dayton am 21.11.1995. Bosnien-Herzegowina wurde in eine moslemisch-kroatische Föderation und die Serbische Republik (Republik Srpska) aufgeteilt und unter militärischer Besatzung der NATO und unter westlicher Administration gestellt. An der Spitze der Kolonialadministration stand zunächst der UN-Sonderbeauftragte Carl Bildt, der die volle Exekutivgewalt in allen Zivilangelegenheiten erhielt. Die Herrschaft über die Wirtschaftspolitik wurde dem IWF, der Weltbank und der Osteuropabank (EBWE) übertragen. Sofort nahm man die Umstrukturierung des öffentlichen Sektors und den Verkauf von Staatsunternehmen und Kollektivbetrieben in Angriff. (Chossudovsky, Global Brutal, S.280 ff.)
Der letzte Akt der Zerschlagung Jugoslawiens erfolgte mit dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der NATO gegen die „Bundesrepublik Jugoslawien“ 1999 mit tatkräftiger Beteiligung Deutschlands unter einer rot-grünen Regierung mit der Troika Schröder, Fischer und Scharping. Die Bombardierung Jugoslawiens mit mehr als 32000 Lufteinsätzen dauerte vom 24. März bis zum 11. Juni 1999, also 78 Tage. Mit Beteiligung deutscher Tornados. Bombardiert wurden neben militärischen Zielen, vor allem Industrieanlagen, Elektrizitätswerke, aber auch Krankenhäuser, Schulen und andere zivile Einrichtungen. Tausende Menschen kamen dabei ums Leben. Schröder am 24.März: „Wir führen keinen Krieg, aber wir sind aufgerufen, eine friedliche Lösung im Kosovo auch mit militärischen Mitteln durchzusetzen.“
Die friedliche Lösung im Kosovo hatten NATO und EU zuvor hintertrieben, den Konflikt durch Unterstützung der terroristischen UCK weiter angeheizt. Dem NATO-Krieg voraus ging eine mediale Hetzkampagne gegen die Serben. Ein regelrechtes Lügengebäude wurde zur Rechtfertigung des Krieges errichtet. Die Serben würden im Kosovo einen Völkermord begehen, KZ errichten (Fischer), systematisch vergewaltigen, Föten grillen und mit den Köpfen der Ermordeten Fußball spielen. Es gelte ein zweites Ausschwitz zu verhindern (Fischer). Der sogenannte „Hufeisenplan“ (Plan zur systematischen Vertreibung der Kosovo-Albaner) war ein Produkt westlicher Geheimdienste. Im November '99 präsentierte der „Internationale Gerichtshof für die Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien (ITCY)“ 200 angebliche Massengräber. Die Ergebnisse der Untersuchungen, um wen es sich bei den Toten handelt, wurden indes als geheim eingestuft. Die massenhafte Fluchtwelle aus dem Kosovo hat erst nach den und infolge der NATO-Angriffe begonnen. Das sogenannte „Massaker von Racak“, eine Inszenierung der UCK mit Schützenhilfe der USA, lieferte den ersehnten Anlass zum Losschlagen.
Als die Propagandamaschine auf Hochtouren lief, waren die Kriegsplanungen längst abgeschlossen. Kriegspläne von Bundeswehrtheoretikern gab es bereits Anfang der 90er Jahre. Schröder befürwortete schon als Kanzlerkandidat ein militärisches Eingreifen. Die Verhandlungen in Rambouillet, die vorgeblichen Friedensbemühungen der NATO waren eine Farce. US-Beamte, die an den Verhandlungen teilnahmen, drückten es so aus: „Wir hängen die Latte bei den Verhandlungen bewußt hoch, dass die Serben sie nicht überspringen können.“ (s. Hartmann, Die glorreichen Sieger, S.95) Bereits im August '98 waren die Planungen für die NATO-Intervention abgeschlossen. Scharping beschreibt sie in seinem „Kriegstagebuch“: Phase 0: Vorbereitung der Luftstreitkräfte. Phase 1: Luftoperationen zur Durchsetzung einer Flugverbotszone zur Erringung der Lufthoheit über Jugoslawien und dem Kosovo. Einsätze im Kosovo. Phase 2: Ausweitung der Angriffe auf Serbien. Phase 3: Neben der Bombardierung militärischer Ziele auch die Bombardierung u.a. von Elektrizitäts-werken und Ölraffinerien.
Nach dem Ende der NATO- Bombardierung wurde das Kosovo zu einer Art Mafiaprotektorat, wo unter der provisorischen Regierung der UCK das kriminelle Verbrechen und der Drogenhandel blühten. Unter den Augen der dort stationierten KFOR-Truppen, an denen auch ein deutsches Kontingent der sogenannten „Krisenreaktionskräfte“ (KRK) beteiligt war, fand die Massenvertreibung der Serben und Roma statt.
Davon unberührt wurde sofort mit der Umstrukturierung der Wirtschaft nach Prinzipien des freien Marktes nach dem Vorbild Bosniens begonnen. Alle jugoslawischen Staatsbanken wurden geschlossen und die D-Mark als Zahlungsmittel eingeführt. Serbien geriet nach der Zerstörung seiner Wirtschaft noch stärker in die Abhängigkeit des Westens und den Würgegriff des IWF.
Die Sanktionen gegen Jugoslawien wurden erst gelockert, nachdem sich Kostunica bei den Präsident-schaftswahlen im Oktober 2000 als Kandidat des oppositionellen Wahlbündnis DOS (Demokratische Opposition Serbiens) gegen Milosevic als Kandidat des Linksblocks durchgesetzt hatte. Nicht zuletzt dank umfangreicher materieller und finanzieller Wahlhilfe Deutschlands.
Der NATO-Krieg gegen Jugoslawien lieferte das Muster für alle folgenden militärischen Interventionen des Westens bzw. der NATO. Er schuf einen Präzedenzfall für die Missachtung des Gewaltverbots des Völkerrechts, des Selbstbestimmungsrechts und staatlicher Souveränität. Auch für Deutschland stellt Jugoslawien eine Zäsur dar. Erstmals nach Ende des 2. Weltkrieges ging von deutschem Boden wieder Krieg aus, ausgerechnet gegen ein Land, das bereits in beiden Weltkriegen von Deutschland mit Krieg überzogen worden war.
Dirk Stehling, 20.9.2016