Behörden und NSU

Was sagt der Untersuchungsausschuss NSU zum Anschlag in der Kölner Probsteigasse?

Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss zum Komplex NSU (PUA NSU) wurde am 4. November 2014 vom NRW-Landtag eingerichtet. Er sollte behördliches Fehlverhalten im Verhältnis zum NSU und seinen Unterstützern im Zeitraum ab Oktober 1991 untersuchen. Im einzelnen ging es um die Ermittlungen zu den Anschlägen vom 19. Januar 2001 in der Kölner Probsteigasse, vom 9. Juni 2004 in der Keupstraße und 4. April 2006 in Dortmund. Der Auftrag umfasste zudem den dreifachen Polizistenmord in Dortmund und Waltrop am 14. Juni 2000 und den Anschlag am 27. Juli 2000 (S-Bahnhof Düsseldorf-Wehrhahn).

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Der Schlussbericht liegt seit dem 31. März vor. Umfang 1150 Seiten. In der Sitzung des Landtags am vergangenen Donnerstag, 6. April, erläuterte ihn der Vorsitzende Sven Wolf. Im folgenden versuche ich, die Frage zu beantworten, ob die PUA-Erkenntnisse zum Anschlag in der Probsteigasse das Design, das Generalbundesanwalt, BKA und Verfassungsschutz ihren Ermittlungen geben, zu durchdringen vermochten. Hilfreich sind dabei Informationen von NSU-Watch.

In den Tagen vor Weihnachten 2000 hinterließ ein vorgeblicher Kunde im Lebensmittelladen der Familie M., die aus dem Iran stammt, einen geflochtenen Korb mit einer Tüte Erdnußflips und einer weihnachtlichen Stollendose. Weitere Waren hatte er im Laden dazugepackt. Er verabschiedete sich unter dem Vorwand, Geld holen zu müssen, kehrte aber nicht zurück. Der Korb wurde später in einem Hinterzimmer abgelegt, wo die 19-jährige Tochter des Inhabers am 19. Januar 2001 den Deckel der Stollendose anhob. Es folgte eine Explosion, die hochgradige Verbrennungen in Gesicht und rechter Hand zur Folge hatten, Schnittverletzungen am Oberkörper und beiden Beinen. Massive Schäden entstanden im Laden, an Gebäudeteilen und im Innenhof.

Bei den Ermittlungen der Polizei wurde ein rassistisches Motiv nicht in Erwägung gezogen. Demgegenüber stellt der PUA eine auffällige Ähnlichkeit mit drei Bombenanschlägen fest, die 1992 und 1993 in Köln verübt worden sind. Er kann nicht nachvollziehen, „warum weder die Ermittlungskommission 'Probst' noch der Staatsschutz eine Verbindung“ zu diesen Anschlägen zogen.

Am 21. Dezember 1992 war vor der Wohnungstür einer türkischen Familie in der Ehrenfelder Platenstraße ein als Weihnachtsgeschenk verpacktes Paket abgelegt worden. Es ist an Ali C. adressiert, auf einer Karte steht:„Viel Gülük mit dem neuen Teppischreiniger. Heute Sie, morgen das ganze Haus!“ (KR 24.12.92). Beim Öffnen werden Fatma C. und ihr Schwager Ali C. durch eine Explosion und eine Stichflamme verletzt. Sie kommen mit Verbrennungen ins Krankenhaus. Dabei war nur der Zünder explodiert, nicht aber der Sprengsatz mit 5 Litern Benzin. Polizeisprecher Anton Seit erklärte damals: „Wenn der eigentliche Brandsatz hochgegangen wäre, hätte es Tote gegeben.“ (KR, 24.12.1992). Die Polizei zieht neben einer Familienfehde auch ein ausländerfeindliches Motiv für den Anschlag in Betracht. Die Familie C. selbst geht sofort davon aus, dass es sich um einen ausländerfeindlichen Anschlag handeln müsse: „Auf diese Weise sind wir schon früher beschimpft worden. Und sonst haben wir absolut keine Feinde“. Gefahndet wird zunächst nach einem 25-30jährigen Mann, der vom Tatort weggelaufen sein soll. Die Fahndung führt zu keinem Ergebnis. Schon sechs Wochen nach der Tat wird die Ermittlungsakte geschlossen.

Wenig später, am 12. Februar 1993, geht eine Sprengfalle in der Geldernstraße in Bilderstöckchen hoch. Hier leben vorwiegend Migranten. Der 52jährige Alfred O. findet auf dem Bürgersteig eine Plastiktüte mit einem Winkelschleifer der Marke Bosch und nimmt das Gerät mit in seine Wohnung. Er schließt das Gerät an eine Steckdose an, um eine Heizung zu reparieren. Dabei explodiert die Trennflex und zerreißt ihm den Oberschenkel. Ein fremdenfeindlicher Anschlag wurde damals nicht in Erwägung gezogen.

Auch in der Nibelungensiedlung in Mauenheim leben vorwiegend Türken. Am 13. März 1993 findet der 42jährige Ford-Arbeiter Recep S. auf einem Parkplatz an der Etzelstraße eine schwarze Ledertasche und darin einen Autostaubsauger. Er kann ihn brauchen, denn er will seinen Wagen herrichten, um ihn zu verkaufen und nach 16 Jahren in Deutschland wieder in die Türkei zurückzukehren. Recep S. löst die Explosion aus, als er den Staubsauger an den Zigarettenanzünder anschließt. Sein Oberkörper ist schwer verletzt. Er verliert ein Auge. Nach sieben Wochen im Krankenhaus ist er arbeitsunfähig. Im Oktober 2014 wird der Fall noch einmal im Express aufgegriffen. Cilek, ein Freund von Recep S. erzählt von der schwarzen Ledertasche, die eines Tages wie zufällig auf dem belebten Parkplatz lag. Zunächst habe damit keiner etwas anfangen wollen. Aber wenige Stunden, bevor Recep S. Die Sprengfalle auslöste, hatte ein 13jähriger Junge die Tasche mit nach Hause genommen. Sein Vater forderte ihn aber auf, die Tasche wieder zurückzulegen. An der Tasche fand sich ein mit Filzstift aufgebrachter Schriftzug „Össal Güven“. Güven kann Vor- und Nachname sein. Aber einen Vornamen „Össal“ gibt es in dieser Schreibweise nicht. Weder auf türkisch noch auf kurdisch.

Beide Sprengfallen enthielten professionelle Sprengkapseln mit TNT. Das LKA teilt mit: „Nach einer Analyse des LKA Düsseldorf handelt es sich bei dem Sprengstoff um TNT (Trinitrotuol), das nur im militärischen Bereich benutzt wird. Es könnte aus Beständen der Bundeswehr oder der NVA stammen“ (KR,18.03.1993).
Noch im März 1993, und das kam dann auch im PUA zur Sprache, war der Verfassungsschutz darüber informiert worden, dass Neonazis von der Nationalistischen Front im November 1992 in der Nähe von Bonn TNT erworben hatten. Auch ein Anschlag sei geplant gewesen. Dennoch notierte der Inlandsgeheimdienst, obwohl die zwei TNT-Sprengfallen in Köln bereits explodiert waren: „Bisher ist kein schädigendes Ereignis eingetreten.“ Auch wurden weder LKA noch Kölner Polizei über den Sprengstoffkauf der Neonazis informiert.

Obwohl sich die Betroffenen in ihren Wohnvierteln über den fremdenfeindlichen Charakter dieser Anschläge klar waren, wurde von den Ermittlungsbehörden zu keiner Zeit ein rassistischer oder extrem rechter Hintergrund erwogen. Vielmehr vermuteten sie einen psychisch gestörten Einzeltäter: „Ein fremdenfeindlicher Hintergrund kann […] ausgeschlossen werden, weil der Unbekannte die Sprengsätze offenbar völlig willkürlich ablegt“, zitiert die Kölnische Rundschau am 17. März 1993 den Ermittler Uwe K. Aber einen fremdenfeindlichen Hintergrund auszuschließen, erscheint umso willkürlicher, als just im Vorfeld der Asylrechtsänderung vom 26. Mai 1993 Dutzende von Neonazi-Anschlägen und rassistischer Ausschreitungen, erinnern wir uns an Hünxe, Mölln, Solingen, an Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen das politische Klima markierten.
Laut NSU-Watch registrierte die Kölner Polizei in den sechs Monaten von Januar bis Ende Juli 1993 im Großraum Köln 232 „nachweisbare Fälle“ fremdenfeindlicher Straftaten, 42 mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres.
Bis heute sind die drei Anschläge im Kölner Norden nicht aufgeklärt, die Täter nicht ermittelt.

Edgar Mittler, Ermittlungsleiter zum Anschlag in der Probsteigasse, sagte vor dem PUA aus, er habe den Staatsschutzkollegen zwar direkt eine Zweitakte zur Prüfung zukommen lassen, aber weder von ihnen noch vom Verfassungsschutz sei ein Hinweis auf einen möglichen rassistischen Hintergrund gekommen. Der Leiter des Kommissariats für „Rechts- und Linksextremismus“, Günter Gebert, wurde nicht in die Ermittlungen eingebunden. Vielleicht sei der Fall bei seinem verstorbenen Vorgesetzten oder dem Kollegen vom Kommissariat für „Ausländerextremismus“ gelandet. Er machte auch deutlich, dass er der Neonazi-Szene in Köln damals terroristische Taten nicht zutraute. Übersehen wurde die Ähnlichkeit der Tarnung als Geschenk, die Opferauswahl und der Ablagezeitpunkt kurz vor Weihnachten. Mittler kannte die Fälle, verkannte aber den Zusammenhang. Auf den hätte ihn das LKA hinweisen müssen, meint er.

Der Bericht (S. 301 ff.) des PUA kritisiert die Ermittlungen zum Sprengfallenanschlag in der Probsteigasse im Jahr 2001 als unzureichend. Ein möglicher fremdenfeindlicher Hintergrund der Tat sei nicht ernsthaft in Betracht gezogen worden. Nicht nachvollziehbar sei, dass den Ermittlern zwar eine Verwicklung des iranischen Geheimdienstes in den Anschlag als möglich erschien, nicht aber ein rassistisches Motiv oder eine Tatbeteiligung von Neonazis.
Dass es anscheinend auch beim Verfassungsschutz NRW keinen Vorgang zu dem Anschlag in der Probsteigasse gegeben haben soll, sei ebenfalls nicht nachzuvollziehen. Es sei äußerst irritierend, dass der Leiter des Referats „Auswertung Rechtsextremismus“ beim Verfassungsschutz NRW, der Zeuge Hans-Peter Lüngen, den Anschlag in der Probsteigasse nicht wahrgenommen haben will. Der Ausschuss habe nicht aufklären können, ob der Verfassungsschutz NRW keinen Vorgang hat anlegen lassen oder ob dieser Vorgang aus dem Aktenbestand gelöscht worden ist.
Auch die Staatsanwaltschaft Köln wird kritisiert. „Angesichts der Art und Schwere der Tat sowie einer Verfolgungsverjährung von 20 Jahren war es nicht sachgerecht, die Vernichtung aller vorhandenen Asservate bereits fünf Jahre nach der Tat anzuordnen. Dadurch gingen Beweismittel verloren, die insbesondere nach der Selbstenttarnung des NSU im Jahr 2011 möglicherweise noch von entscheidender Bedeutung hätten sein können.“ (S. 302)

November 2011. Der NSU fliegt auf. Das Paulchen-Panther-Video

Der Schlussbericht: „Am 18. Januar 2012 übersandte das BKA dem BfV (Bundesamt für Verfassungsschutz) die im Zusammenhang mit dem Anschlag in der Probsteigasse erstellten Phantombilder. Am 6. Februar 2012 fand eine Besprechung zwischen zwei Ermittlungspersonen der BAO (Besondere Aufbauorganisation) Trio des BKA und Vertretern und Vertreterinnen des BfV statt, bei der seitens des BKA der Ermittlungsstand zum Anschlag in der Probsteigasse dargestellt und die Phantombilder überreicht wurden. Bei dem Austauschtreffen wurde verabredet, dass sich das BfV beim BKA meldet, sobald es neue Hinweise erlangt. Beim BfV erkannte eine Mitarbeiterin eine Ähnlichkeit zwischen dem nach Angaben des Djavad M. gezeichneten Phantombild und einem Mitglied der 'Kameradschaft Köln', respektive 'Kameradschaft Walter Spangenberg'. Die Ähnlichkeit stellte sie anhand eines Fotos fest, das sich auf der Kopie einer Festplatte befand, die bei einer Durchsuchung im Rahmen des HNG-Verbotsverfahrens (HNG = Hilfsorganisation für Nationale Politische Gefangene und deren Angehörige e.V.) im Jahr 2010 bei Axel Reitz aufgefunden wurde. Auf diesem Foto ist das besagte Mitglied der Kameradschaft Köln neben Axel Reitz stehend zu sehen. Die Mitarbeiterin des BfV konnte diese Person nicht identifizieren, woraufhin sich das BfV am 8. Februar 2012 an den Verfassungsschutz NRW wandte. Dort stellte man fest, dass die Person behördlich bekannt war. Zwischen 1989 und 2012 war Johann Helfer Vertrauensperson des Verfassungsschutzes NRW.“ (S. 315)

Im Juni 2014 ging es im Münchner NSU-Prozess um den Anschlag in der Probsteigasse. In seinem Paulchen-Panther-Video hatte sich der NSU dazu bekannt. Trotz der mangelnden Ähnlichkeit von Böhnhardt und Mundlos mit dem Phantombild geht die Bundesanwaltschaft von ihrer Täterschaft aus. Es gebe keine Anhaltspunkte, die für einen anderen Täter als Mundlos oder Böhnhardt sprächen, teilte sie mit. (KR 6.6.2014)
Das Phantombild war nach den Angaben des Ladeninhabers und seiner Tochter erstellt worden.
Am 9. Februar 2012 identifizierte die Leiterin der NRW-Verfassungsschutzes Mathilde Koller den Neonazi Johann Helfer - ohne allerdings mitzuteilen, dass der Betreffende als V-Mann auf der Gehaltsliste ihrer Behörde steht. Johann Helfer ist seit langem in der Neonaziszene aktiv, unter anderem war er Mitglied der Kameradschaft Walter Spangenberg. Die Mitteilung über seine Eigenschaft als V-Mann gab sie erst eine Woche später. Aber weder sie noch die Bundesanwaltschaft, auch nicht das BKA sahen „Anhaltspunkte für eine Tatbeteiligung“ des Mannes - anders als die Opfer, nach deren Angaben das Phantombild hergestellt worden war. Koller bat vier Monate später, im Juni 2012, um ihre Versetzung in den Ruhestand und gab dafür persönliche Gründe an. Anlässlich ihrer Vernehmung am 25. August 2015 im PUA bekannte sie, dass sie nicht bereit oder in der Lage gewesen sei, nach den Landtagswahlen im Mai 2012 mit dem Staatssekretär des neuen Innenministers zusammenzuarbeiten. Über den Inhalt des Konflikts mit dem Staatssekretär gab sie keine Auskunft.

Merkwürdig mutet an, dass Johann Helfer, der übrigens alle Medien, die im Zusammenhang mit dem Anschlag in der Probsteigasse seinen Namen nannten, mit strafbewehrten Unterlassungsverfügungen überzog, auch nach Kollers Hinweis nicht von der Polizei vernommen wurde. Das bestätigten sowohl Ermittler als auch der Anwalt von Johann Helfer dem WDR-Magazin WESTPOL in der Sendung vom 21. Juni 2015.

Sven Wolf war dieses Detail am vergangenen Donnerstag (6. April 2017) im Landtag wichtig genug, um zu sagen, daß sich der Ausschuss intensiv mit der Frage beschäftigt habe, ob dieser Johann Helfer der Täter war. Sie seien gemeinsam zur der Überzeugung gekommen: er war es nicht. Wer es war, das könne der Ausschuss nicht sagen.

Diese Aussage des Vorsitzenden stützt sich offenbar auf Vernehmungen der Zeuginnen Annette Greger, Oberstaatsanwältin beim Generalbundesanwalt, der Kriminalkommissarin Annika Voggenreiter, sowie Johann Helfer selbst. Ich zitiere:

Im Rahmen seiner Vernehmung vom 23. Februar 2012 wurden Djavad M. sowohl die Licht-
bildvorlagedatei, in der das verfremdete Passbild des Johann Helfer integriert war, als
auch eine die Ganzkörperaufnahme des Johann Helfer enthaltende Wahllichtbildvorlage
gezeigt. Weder auf dem einen noch auf dem anderen Bild erkannte er Johann Helfer als Tat-
verdächtigen wieder.
Auch Mahshid M. wurde in ihrer Vernehmung vom 19. März 2012 eine das verfremdete
Passbild des Johann Helfer enthaltende Wahllichtbildvorlage gezeigt. Hieraufhin schloss
sie den auf Bild 3 abgebildeten Johann Helfer als Tatverdächtigen aus. Hinsichtlich der ihr
in einer weiteren Wahllichtbildvorlage vorgelegten Ganzkörperaufnahme des Johann Hel-
fer gab sie an, dass das Gesicht leider nicht richtig zu erkennen sei und die abgebildete Per-
son von der Statur „irgendwie zu klein“ aussehe.
Die Zeugin Annika Voggenreiter vermerkte darauf, dass somit aktuell keine Anhaltspunkte
für eine Täterschaft des Johann Helfer vorliegen.
Nach Aussage der Zeugin Annika Voggenreiter sei damit die Spur aber nicht komplett abge-
schlossen gewesen, sondern zu diesem Zeitpunkt nur nicht vorrangig weiter verfolgt wor-
den.
Über die bereits geschilderten Ermittlungsmaßnahmen der Erhebungen polizeilicher Erkennt-
nisse zu Johann Helfer sowie der Durchführung von Lichtbildvorlagen hinaus, ergeben sich
aus den Akten jedoch keine weitergehenden Ermittlungen zu dieser Spur.
Mit diesem Aktenbefund korrespondiert auch die Aussage der Zeugin Anette Greger, die
deutlich zum Ausdruck gebracht hat, dass aufgrund der fehlenden Wiedererkennung durch
die beiden Augenzeugen Djavad und Mahshid M. die Spur „Johann Helfer“ für den GBA
„nicht mehr interessant“ gewesen sei. Zusammenfassend hat sie zu dieser Spur erklärt:

„Es war für uns zunächst mal natürlich ein extrem wichtiger, verfahrensrelevanter Sach-
verhalt auch. Es war hier ein Hinweis, dass ein Täter ... Diese Ähnlichkeit zwischen dem Aussehen 2011 und dem Phantombild 2001 ist frappierend. Also, es war hier ein Hinweis, dass ein Täter außerhalb von Böhnhardt / Mundlos / Zschäpe an einem Tatort war und diesen Sprengstoff zurückgelassen hat. Also wir hätten, wenn sich dieser Hinweis verdichtet hätte, da sofort einen Zugriff gemacht, wie wir es im Übrigen auch bei anderen der Unterstützung verdächtigen Personen gemacht haben.
Aber wir haben dann nach unseren Abklärungen die Bewertung für uns getroffen, dass Johann Helfer für uns nicht tatverdächtig ist, weil sein Aussehen zum damaligen Zeitpunkt nicht der Beschreibung des für uns auch sehr wichtigen Zeugen Herrn M. entspricht. Wir haben – auch das ist Ihnen ja bekannt – auch durchaus unterschiedliche Beschreibungen dieser Person, die sich im Ladenlokal aufgehalten hat, von Herrn M. Am 19. und 21. einerseits und von der Schwester der Geschädigten aus dem Jahr 2012 andererseits.
Diese Aussagen zur Beschreibung der Person passen auch nicht eins zu eins zueinander. Und wenn beide Personen dann bei der Vorlage von Lichtbildern zu dem Ergebnis kommen, dass diese Person nicht in Betracht kommt, ist diese Spur unbeschadet der Ähnlichkeit, der äußeren Ähnlichkeit, die jeder feststellen kann – Helfer 2011 und Phantombild 2001 –, für uns abgeklärt, und zwar in dem Sinne, dass Herr Helfer für uns als Verdächtiger nicht infrage kommt. Das ist im Übrigen auch in der Hauptverhandlung in München vom Strafsenat so gesehen worden.“
Johann Helfer wurde nicht durch das BKA bzw. den GBA vernommen. Die Zeugin Anette Greger hat dazu erklärt:
„Es gab keinen Anlass mehr, den Helfer zeugenschaftlich zu vernehmen. Die Beschreibung von Herrn [M.], die er zeitnah zu dem Anschlag abgegeben hat, die Beschreibung der Person, die den Korb im Geschäft stehenließ, passt nicht unbedingt auf den Helfer – schon von der Beschreibung her. Und dann schließen Zeugen diese Person auch noch aus. Auch dieses Aussehen, was den Helfer 2002 zeigt, ist anders als dieses Phantombild. Es gab für uns keinen Anlass mehr, den Helfer als Zeugen zu vernehmen. Wir dürfen Zeugenvernehmungen nur machen, wenn wir eine Sachverhaltsaufklärung damit bezwecken können.“ (S. 321 ff.)

Auf eine Anfrage des Leiters des Verfassungsschutzes NRW, des Zeugen Burkhard Freier, vom 19. Juni 2013, in der er um Mitteilung des Sachstandes der Ermittlungen hinsichtlich der möglichen Tatbeteiligung des Johann Helfer bat, teilte der GBA mit Schreiben vom 1. Juli 2013 mit, dass die Person Johann Helfer durch das BKA mit folgendem Ergebnis abgeklärt wurde: „Hinweise auf eine Täterschaft dieser Person am Anschlag in der Probsteigasse in Köln haben sich nicht ergeben.“ (S. 323)

Am Ende des Kapitels „Die Spur Johann Helfer“ (S. 315) resümiert der Untersuchungsausschuss (Kritische Würdigung, S. 326 f.):
Johann Helfer hat in seiner Vernehmung durch den Ausschuss eine Beteiligung an dem Anschlag in der Probsteigasse vehement abgestritten. Der Ausschuss hat nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme keine Belege dafür, dass Johann Helfer die Sprengfalle in dem Lebensmittelgeschäft der Familie M. hinterlassen hat oder in sonstiger Weise an dem Anschlag in der Probsteigasse beteiligt gewesen ist. Zwar ist sowohl auf dem Foto, das den Vorgang „Johann Helfer“ beim Verfassungsschutz NRW erst auslöste, als auch auf dem im Jahr 2014 im Internet veröffentlichtem Bild die Ähnlichkeit des Johann Helfer mit dem Phantombild deutlich zu erkennen, jedoch liegen dem Ausschuss keine Erkenntnisse darüber vor, dass diese Lichtbilder aus dem Jahr 2000 oder 2001 stammen.
Gleichwohl ist der Ausschuss der Ansicht, dass die Bearbeitung der Spur „Helfer“ nicht vollständig erfolgt ist. Nachdem die beiden Djavad M. und Mahshid M. nach zwei Wahllichtbildvorlagen den Zeugen Johann Helfer nicht als Ableger der Sprengfalle wieder erkannten, wurden keine weiteren Ermittlungen durchgeführt. Dies wäre an sich ein nachvollziehbares Vorgehen des BKA, wenn die beiden Wahllichtbildvorlagen nicht von minderer Qualität gewesen wären und den Standards guter Ermittlungsarbeit vollends entsprochen hätten.
Das für die Wahllichtbildvorlagen verwendete Ganzkörperbild des Johann Helfer ist von derart schlechter Qualität, dass sich damit keine gesicherten Aussagen zu Statur und Größe der abgebildeten Person machen lassen. Zudem weicht die Qualität und Perspektive der Aufnahme deutlich von den anderen Lichtbildern in der Wahllichtbildvorlage ab. Für die Wahllichtbildvorlage der Porträts verwendete das BKA ein Passfoto, das Johann Helfer mit kurzen Haaren und einem Bart zeigt. Auf dieses Foto wurden dann längere Haare, dem Phantombild entsprechend, montiert. Jedoch wurde aus nicht nachvollziehbaren Gründen der Bart auf dem Porträtbild des Johann Helfer nicht retuschiert - obwohl die beiden Augenzeugen Djavad M. und Mahshid M.ausgesagt hatten, dass der Täter des Anschlags keinen Bart getragen habe. Das BKA konnte im Zuge seiner Recherchen keine brauchbaren Fotos von Johann Helfer mit langen Haaren erlangen.
Nicht nachzuvollziehen und ebenfalls zu kritisieren ist, dass die Rechercheergebnisse des Verfassungsschutzes NRW nicht die ermittelnden Sachbearbeiter und Sachbearbeiterinnen des BKA erreichten. Diesen war nur die erste, knapp gehaltene dienstliche Erklärung vom 9. Februar 2012 bekannt. Die dienstliche Erklärung, welche durch den Verfassungsschutz NRW im Internet erlangte Fotos von Johann Helfer enthielt, wurde, ohne dass ein sachlicher Grund dafür erkennbar ist, seitens des Verfassungsschutzes NRW als Verschlusssache eingestuft.
In der dienstlichen Erklärung vom 9. Februar 2012 wies der Verfassungsschutz NRW auf die Vorstrafe des Johann Helfer wegen eines Sprengstoffdelikts im Jahr 1985 sowie die Tatsache, dass er eingetragener Besitzer von Schusswaffen war, nicht hin. Auch wenn die als Zeugen gehörten Mitarbeiter der Verfassungsschutzes NRW angegeben haben, die Information über die Vorstrafe dem GBA mündlich mitgeteilt zu haben, so musste das BKA diese, im Hinblick auf den Tatverdacht der Beteiligung an einem Sprengstoffanschlag wichtige Information selbst recherchieren. (S. 326 f.)

Klaus, 11. April 2017