»Erinnern, eine Brücke in die Zukunft«
Gedenkstunden in der Antoniterkirche am 27. Januar 2013, dem Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust.
Am 4. Januar 1933 wurden am Stadtwaldgürtel 35, in der Villa des Kölner Bankiers Schröder, die Weichen für die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler gestellt. 1947 sagte der Hausherr im Nürnberger IG-Farbenprozess dazu:
»Ich, Kurt Freiherr von Schroeder, stelle hiermit unter Eid freiwillig und ohne Zwang folgendes fest:
Am 4. Januar 1933 trafen Hitler, von Papen, Heß, Himmler und Keppler in meinem Hause in Köln ein. Hitler, von Papen und ich begaben uns in mein Arbeitszimmer, wo eine zwei Stunden dauernde Besprechung stattfand. …
Papen (führte) aus, dass er es für das beste halte, eine Regierung zu formen, bei der die konservativen und nationalen Elemente zusammen mit den Nazis vertreten seien…. Daraufhin hielt Hitler eine lange Rede, in der er sagte, dass, wenn er zum Kanzler ernannt würde, Anhänger von Papens als Minister an seiner Regierung teilnehmen könnten, sofern sie gewillt wären, seine Politik, … zu unterstützen. Er skizzierte diese, … einschließlich der Entfernung aller Sozialdemokraten, Kommunisten und Juden von führenden Stellungen in Deutschland und der Wiederherstellung der Ordnung im öffentlichen Leben …«
So begann die Textcollage auf der Gedenkveranstaltung am 27. Januar, zu der sich wieder viele Menschen in der Antoniterkirche einfanden. Nach den Grußworten von Pfarrer Bonhoeffer und Bürgermeisterin Elfi Scho-Antwerpes wurden in der folgenden Stunde vom Chortheater »Stimmt so« und den Schauspielern Marion Mainka und Axel Gottschick die ersten drei Monate nach der Machtübertragung an Hitler lebendig.
Was Hitler in der Villa Schröder angekündigt hatte, wurde nach dem 30. Januar 1933 in die Tat umgesetzt und das weit schneller als viele gedacht hatten. »Das ist der Krieg«, sagte die Mutter Heinrich Bölls zu ihrem damals 15-jährigen Sohn und noch wollte es kaum einer glauben.
Der Sozialdemokrat Willi Bamberger:
»Die Ernennung von Hitler zum Reichskanzler war ein Überraschungsvorgang. Das war eigentlich für alle nicht vorauszusehen, dass der plötzlich eine sogenannte legale Machtübernahme vollzog und dadurch auch gleichzeitig seine SA als Hilfspolizei einsetzte und alles observierte. Sie hatten vorher schon längstens ausgemacht, wen sie verhaften wollten.«
Karl-David Ziegellaub, aufgewachsen in einer streng religiösen jüdischen Familie:
»Ich war am 30. Januar vierzehneinhalb Jahre alt, habe die Zeit damals sehr bewusst erlebt und erinnere mich sehr gut an die Verhandlungen mit Hindenburg … Ich erinnere mich daran, dass viele sagten: »Lass ihn doch an die Macht kommen. Es dauert ein paar Wochen, und er ist weg!«
Otto Spier, Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie:
»Mein Vater ahnte früh, was auf uns zukommen würde. Am Wahltag sprach er mit mir zum ersten Mal über Politisches. Ich war zwölf, dreizehn Jahre alt und wusste noch nicht viel von Politik. Er zeigte auf ein Wahlplakat von Hitler und sagte: »Wenn dieser Mann heute ans Ruder kommt, dann ist es für die Juden in Deutschland aus.«
Hans Berger, Mitglied der katholischen Arbeiterbewegung:
»Als ich im Februar 1933 zum ersten Mal nach der Bestallung Hitlers ins Ketteler-Haus kam und … meine große Besorgnis über die weitere politische Entwicklung Deutschlands … ausdrückte, schien man mir dort über die neue Lösung geradezu erleichtert. Bernhard Letterhaus insbesondere erklärte, er sehe in der Betrauung Hitlers mit dem Kanzleramt eine politische Notwendigkeit, um endlich einmal die Nationalsozialisten zu entlarven. Innerhalb der nächsten sechs Monate würden sie an den wirtschaftlichen Schwierigkeiten scheitern.«
Der Kommunist Kurt Bachmann:
»Wir haben auf den Generalstreik gewartet, … haben ein Flugblatt verteilt – Generalstreik! Losungen an die Wände gemalt. Das war die revolutionäre Gewerkschaftsopposition, eine ganz lockere, weite Schicht von Leuten, die sich aus der Gewerkschaft kannten… Wir gingen zum Neumarkt. (Er) war schwarz von Menschen. Da traf sich Krethi und Plethi. Zwischen Blaubach und Griechenmarkt gab es eine antifaschistische Aktion. Wir haben nachts Wache gemacht. Die SA kam nicht, weil das ganz massive, kräftige Leute waren. Boxer, Sportsleute, Fußballspieler, Leichtathleten und Arbeiter, Männer, Frauen, Jugendliche. Man ging auf die Straße und blockierte sie. Am zweiten Tag nach dem 30. Januar wurden diese Straßen überfallen und grausam wurden die Leute aus ihren Wohnungen geholt. Die Wohnungen wurden aufgerissen. Beliebt war, das Waschbecken rauszureißen, weil dahinter Waffen vermutet wurde.«
Schon bald veranstaltete die SA regelrechte Jagden in den Arbeitervierteln. Es wurden lokale Haft- und Folterstätten eingerichtet, unter anderem in der Friedensstraße, der Aquinostraße, der Severinstraße, Ecke Maybach/Lübecker- Straße, und das Lager Hochkreuz in Porz. Allein im März 1933 wurden 1100 Nazi-Gegner verhaftet.
Der Klingelpütz mit seinen 975 Haftplätzen war schnell überbelegt. Die Polizeiverwaltung richtete eine eigene Haftstätte in der ehemaligen Festungsanlage am Bonner Wall ein. Mehrere Hundert Menschen wurden dort eingesperrt. Das »Braune Haus« in der Mozartstraße, Sitz der Gauleitung Köln-Aachen wurde in den Jahren 1933/34 zur Zentrale des Terrors in Köln.
Obwohl die NSDAP bei den Stadtverordnetenwahlen am 12. März keine absolute Mehrheit erreichte, wurde am nächsten Tag der Nationalsozialist Günter Riesen als Oberbürgermeister eingesetzt und Gauleiter Grohé erklärte auf der ersten Sitzung des Rates: »Wir bekennen uns in dieser Stunde zu den Versprechen an die nationaldenkende und deutschbewusste Bevölkerung, alles das, was wir in den Jahren des oppositionellen Kampfes erklärt und vertreten haben, mit eiserner Konsequenz bis zum Letzten zu erfüllen.« Angesichts des Terrors, der bereits in den vorausgegangenen Wochen ausgeübt worden war, war dies eine klare Drohung an alle, die es noch wagen sollten Widerstand zu leisten.
An der anschließenden Demonstration zum ehemaligen »Braunen Haus« in der Mozartstraße beteiligten sich fast alle, die zur Gedenkstunde gekommen waren. Rassismus und Ausgrenzung, rechte Hetze und Naziterror sind nicht Geschichte, so die Sprecherinnen und Sprecher auf der Abschlusskundgebung. Die Aufdeckung der grausamen Mordserie an Migrantinnen und Migranten durch die Terrorgruppe »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) bringt immer neue Hinweise auf eine beispiellose Verstrickung von neofaschistischen Terroristen und Sicherheitsbehörden. Akten wurden geschreddert, die Opfer selbst unter Verdacht gestellt. »Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln« und »der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit«, wie es die befreiten Häftlinge von Buchenwald sich in ihrem Schwur zur Aufgabe machten, hat nichts von seiner Aktualität verloren.
u.b.
Die Zeitzeugen-Stimmen und die Fakten zur Entwicklung in Köln von Januar bis März 1933 waren Teil der Textcollage.
Zuerst erschienen in Lokalberichte Köln Nr. 3 vom 1.2.2013