Zitronen in Genk
Eerst de mensen, niet de winst!
Ein Besuch bei den Fordwerkern und der PVDA in Genk / Belgien
Genk liegt knappe 50 Kilometer von Aachen entfernt, in der Provinz Limburg. Auch von Köln ist es nicht weit, wir – Volker Metzroth, Klaus Weißmann und Klaus Stein – benötigen anderthalb Stunden Fahrtzeit. Genk hat 65 000 Einwohner. 10 000 davon arbeiten bei Ford oder in Zulieferbetrieben. Bei Ford wird besser, in den Zulieferbetrieben schlechter bezahlt. Jetzt steht alles still.
Am 24. Oktober hatte der Genker Fordchef Philippe Verbeeck den Schließungsbeschluss des Europa-Managements verlesen. An diesem Tag war das Versprechen des Vorstandsvorsitzenden von Ford Europa, Stephen Odell, der Standort Genk stehe nicht zur Disposition, gerade mal fünf Wochen alt. Nun aber will Ford die Produktion der Modelle Mondeo, S‑Max und Galaxy nach Valencia in Spanien verlagern, um jährlich eine halbe Milliarde Dollar mehr Gewinn zu machen. Da reichen die 44 Millionen Euro an Subventionen, die von der belgischen Regierung kommen, nicht heran.
Vor 25 Jahren ging es hier um die letzten Bergwerke. Dramatische Tage, von den Bergarbeitern sind damals etliche von Ford übernommen worden. Sie alle verlieren mit der Schließung ihre Zukunft. Noch vor zwei Jahren verzichteten die Arbeiter in Genk auf 12 % des Lohns, um das Werk zu erhalten. Folge: die Zentrale in Dearborn/Detroit konnte im Jahre 2011 acht Milliarden Dollar Gewinn verbuchen. Jetzt soll Ford bezahlen. Offenbar geht es den drei Gewerkschaften (christliche, liberale, sozialistische) um Abfindungen und Frühverrentung für die über 50-Jährigen.
Nach der Bekanntgabe der Schließung hatte es einige spektakuläre Aktionen gegeben. Kein Auto verlässt seitdem das Werk. Die Kollegen verhindern den Abtransport von Maschinen oder anderen Fertigungsteilen. Mittlerweile blockieren tonnenschwere Brammen den Werkseingang in der Henry-Fordlaan. Drei neue Mondeo-Karosserien gerieten in Brand, jetzt zieren sie einen der Zugänge. Hier brennen ständig Reifen und Paletten.
Am 7. November besuchten 250 Fordwerker aus Genk ihre Kollegen in Köln. 600 Kölner Fordarbeiter antworteten am 11. November mit einem Gegenbesuch und belebten den »Marsch für die Zukunft«, mit dem 20 000 Menschen für den Erhalt der Arbeitsplätze in Genk demonstrierten.
Das gemeinsame Flugblatt der belgischen Partij van de Arbeid – PVDA (auf französisch: Parti du Travail – PTB) und der Deutschen Kommunistischen Partei ist am 13. November an die Kölner Fordarbeiter ausgehändigt worden. Heute fahren wir nach Genk, um das niederländische Gegenstück zu verteilen.
Zunächst aber sind wir mit dem Genossen Willem de Witte im Büro der PVDA in der Keinkestraat verabredet. Stany Nimmegeers, der Vorsitzende von Limburg, ist ebenfalls dabei. Und weitere Genossen. Im Büro fällt uns gleich ein Foto von 1987 mit dem Streik der Bergarbeiter auf. Ein Riesentopf enthält Zitronen mit Bauchbinde: Genk sluit niet! Genk schließt nicht! Das bezieht sich auf den Vergleich von Arbeitern mit ausgequetschten Zitronen. Die Protestplakate, die hier ausliegen, kennen wir schon von den Fenstern in den Wohnsiedlungen, durch die wir gefahren sind. Sie sind von der PVDA: »Raak niet aan mjin JOB«. Die PVDA gelingt es, die Gefühle der Leute zu treffen. Bei den Kommunalwahlen am 14. Oktober konnte sie ihre Sitze im Genker Gemeinderat von einem auf drei erhöhen, erfahren wir. Bei der Gelegenheit fällt auf, daß die Schließung gerade mal 10 Tage nach den Kommunalwahlen bekannt gemacht wurde.
Aber jetzt reden wir erst einmal. Die Genossen möchten erfahren, wie die Stimmung unter den Fordwerkern in Köln ist. Welche Wirkung hatte der Besuch dort? Wir sind uns einig, dass die entwürdigende Behandlung, die sie durch die Polizei erfahren mussten, vor allem auf die Gemüter der Kollegen in Köln zielt. Die sollen eingeschüchtert werden. In Köln konnten die Belgier erfahren, wie die deutsche Polizei mit Protesten umgeht. Dreistündige Einkesselung, je einzelne Registrierung der Personalien. Die Kollegen wurden abgeführt, fotografiert, dann zu den Bussen begleitet und – was wir hier erst erfahren – diese Begleitung wurde in Gestalt von 10 Polizeifahrzeugen bis zur Staatsgrenze durchgehalten. In Belgien Ablösung der Eskorte durch belgische Polizei. In unseren Zeitungen war vor allem von Randale die Rede. Unter diesen Umständen ist der Gegenbesuch von 600 Fordwerkern ein Erfolg.
Dann geht es um die Perspektive der Genker Industrie. Wir laden die Genossen zur nächsten Kreisvorstandssitzung in Köln ein. Wir wollen sie öffentlich machen.
Nach einer kleinen Mahlzeit werden wir zu den »Piketten«, zu den Wachen an den Toren geleitet. Auf der Mondeo-Laan brennen Reifen, davor räkeln sich auf alten Sofas einige junge Leute in roten, blauen oder grünen Gewerkschaftsjacken. Daneben die Pavillons der drei Gewerkschaften in Rot, Blau und Grün: »Samen sterk«. Da gibt es Kaffee und andere Getränke. Die meisten Kollegen stehen in Gruppen und reden. Wir verteilen unsere Flugblätter. Die deutschen Kommunisten sind eine Abwechslung. Hier wachen vor allem Arbeiterinnen und Arbeiter aus den Zulieferbetrieben, die an dieser Straße ihre Zugänge haben. Gearbeitet wird nicht.
Dann geht es zur Gegenseite, zur Henry-Fordlaan. Der Haupteingang. Hier halten sich etwa 300 Arbeiter auf. Weitere Zelte und Pavillons, Fahnen, das Feuer, dahinter die Mondeo-Ruinen. Ein Stück weiter erreichen wir den Eingang, der mit tonnenschweren Brammen versperrt bleibt. Wir verteilen unsere Blätter und kommen ins Gespräch. In unserem Flugblatt heißt es: »Nötig ist die Solidarität der Standorte untereinander. Wenn weniger Autos gebaut werden, muss das an allen Standorten geschehen, sonst wird einer nach dem anderen geschlossen werden, ist niemand mehr sicher. Nicht zu Lasten der Beschäftigten, sondern mit einer allgemeinen Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich in der gesamten Automobilbranche. Die Reichen sollen selbst für ihre Krise bezahlen! Der Mensch geht vor Profit!« Auf niederländisch heißt das: »De rijken moeten zelf opdraaien voor hun crisis! Eerst de mensen, niet de winst!«
Klaus Stein