Das Klatschen auf die Straße tragen!
Pflege-Aufstand jetzt!
«Unglaublich, es hat sich nichts verändert!«
(ein Journalist)
Über den gegenwärtigen Zustand des Gesundheitswesens können die Beschäftigten sehr genau Auskunft geben. Sie wissen auch, was sich ändern muss.
Am 7. September hatte das «Kölner Bündnis für mehr Personal im Gesundheitswesen» zu einer Demonstration aufgerufen. «Das Coronavirus hat die Welt und unseren Alltag weiter fest im Griff. Diese Gefährdung von Leben hat System! In Altenheimen (wie zuletzt bei einem privaten Träger in Köln-Rodenkirchen), in Flüchtlingsunterkünften (wie im Juli in einer Sammelunterkunft in Köln-Porz), in Fabriken (wie in den Schlachtbetrieben von Tönnies) oder in engen Wohnkomplexen bricht der Virus regelmäßig aus und Menschen erkranken – weil sie unter gefährlichen Bedingungen arbeiten, produzieren, wohnen und leben müssen. Der Alltag ist das Problem!» heißt es im Aufruf.
Was das im Detail heißt, schildert der ambulante Altenpfleger Volkmar. Kaum jemand von den Kolleginnen und Kollegen wird auf das Corona-Virus getestet, obwohl bekannt ist, dass die Patienten zur Hochrisikogruppe gehören. Allenfalls finden Tests in Abständen von 4 bis 6 Wochen statt. Volkmar schildert seinen Umgang mit einem dementen Greis mit Schlaganfall, der 5 mal am Tag besucht wird. Waschen, Ankleiden, in den Rollstuhl umsetzen. Später am Tag kommt er wieder ins Bett, wird gelagert, es erfolgt eine Abendpflege. Eine Maske trägt er nicht, ohnehin ist er kurzatmig. Die Augen sind meist geschlossen, so hustet er schon mal dem Pfleger ins Gesicht. Oder den regelmäßigen Besuch bei der Dame, die schon aufgrund ihrer Demenz nicht verstehen kann, warum sie eine Maske tragen soll. Sie würde sie sofort wieder abnehmen. Immer wieder erzählt sie dieselben Wandererlebnisse. Regelmäßig bekommt sie ihre Medikamente. Den gebotenen Abstand kann sie nicht einhalten, selbst wenn sie geistesgegenwärtig genug wäre.
So sind die ambulanten Pflegerinnen und Pfleger erheblichen Ansteckungsgefahren ausgesetzt. Abhilfe könnte die sogenannte Kohortierung schaffen, mit der sowohl die Menge der Patienten als auch die Anzahl der für sie zuständigen Pflegerinnen und Pflegern begrenzt bliebe. Und die sollten im Wochenrhythmus getestet werden. Der Altenpfleger fragt, warum das nicht geschieht?
Die Gesundheitseinrichtungen sind zu Profitmaschinen geworden, in denen die Sorgearbeit am Fließband zu erledigen ist. Corona macht deutlich: Ein solches System ist nicht auf den Not- und Katastrophenfall vorbereitet. Es fehlt an Schutzmaterial. Pflegekräfte sind überarbeitet. Aus Zeitdruck werden Hygienevorschriften nicht eingehalten. Es herrschen Kostendruck, Investitions- und Sanierungsstau, Stress und Zeitdruck für die Beschäftigten. Es fehlt an Austattung, Personal, guter Bezahlung. Vernünftig wären wohnortnahe, bedarfs- und bedürfnisgerechte Versorgungseinrichtungen, mit ausreichender personeller Ausstattung und guten Arbeitsbedingungen, Zeit für Patientinnen und Patienten, aber auch zur Erholung.
Vor solchen Aufgaben versagt der Markt.
Sie gehören in die öffentliche Hand.
Was aber geschieht hier in Köln beispielsweise? Zunächst gibt es eine Diskussion über die finanzielle Lage der städtischen Kliniken. Vor diesem Hintergrund steht plötzlich die Schließung des Krankenhauses Holweide im Raum. Tatsächlich ist es aber die Bertelsmann-Stiftung, die für die «Modellregion Köln/Leverkusen» die Schließung der Hälfte der Kliniken vorschlägt.
Schon am 15. Juli des vergangenen Jahres hatte sie das Ergebnis einer Studie des Berliner Instituts für Gesundheits- und Sozialforschung (IGES) bekannt gemacht. Ergebnis: Eine bessere Versorgung sei nur mit halb so vielen Kliniken möglich. Die Studie ist im Auftrag von Bertelsmann entstanden, versteht sich.
Wörtlich hieß es: «In Deutschland gibt es zu viele Krankenhäuser. Eine starke Verringerung der Klinikanzahl von aktuell knapp 1.400 auf deutlich unter 600 Häuser, würde die Qualität der Versorgung für Patienten verbessern und bestehende Engpässe bei Ärzten und Pflegepersonal mildern. Eine Reduzierung der Klinikanzahl würde zu einer besseren medizinischen Versorgung der Patienten in Deutschland führen.»
Der Plan ist höchst gesundheitsschädlich. Die Vernunftwidrigkeit des Bertelsmann-Vorschlags erklärt sich durch den Zwang, Kapital, von dem immer mehr ins Gesundheitswesen fließt, mit hohen Renditen zu verwerten, zumal in einer sich verschärfenden Überproduktionskrise.
Seit Jahren werden die Bettenkapazitäten reduziert. Deutschlandweit zählte das Statistische Bundesamt 1991 noch 2.400 Kliniken. 2017 waren es nur noch 1.942 Häuser. Die privaten Träger konnten dabei ihren Anteil von 21,7 Prozent im Jahr 2000 auf rund 37 Prozent der Häuser im Jahr 2017 ausbauen. Im Zuge dessen ist die Zahl der behandelten Patienten seit den frühen neunziger Jahren um rund 25 Prozent auf aktuell 19,4 Millionen Fälle gestiegen. Eine einfache Rechnung. Weniger Betten und Kliniken, aber mehr Patienten: daraus folgt unausweichlich die leichtfertige Minimierung der Verweildauer. Derzeit durchschnittlich 7,3 Tage. 1992 waren des noch 13,3 Tage.
In der Kapitalverwertungslogik liegt aber auch, dass das Minimum an Personal mit einem Minimum an Lohn abgespeist wird. Kein Wunder, dass die Beschäftigten sich wehren. Die Demonstrierenden fordern eine Kehrtwende im Gesundheitswesen unter dem Motto «Das Klatschen auf die Straße tragen! Pflege-Aufstand jetzt!»
Offenbar wird die öffentlich zur Schau gestellte Sympathie mit den Pflegekräften von diesen als Heuchelei empfunden, solange nicht für eine merkliche Besserung der Zustände gesorgt ist. In den vergangenen Monaten wurde viel darüber geredet. Wie wichtig neben dem ärztlichen Personal auch die Pflegekräfte seien. Abendlich erklang Applaus von den Fenstern und Balkonen, wiederholt in den Nachrichten. In den Talkshows wurden Lobeshymnen gesungen. Alles nett. Aber davon wird der Personalmangel nicht behoben und Schutzmaterial beschafft. Betroffen sind viele.
Und heute ging es um mehr Lohn und Personal im Pflegesektor, also in den aktuellen Tarifverhandlungen auch um Druck auf die zögerlichen Arbeitgeber. Die Krankenpflegerin und Gewerkschafterin Beate Hane-Knoll von ver.di: «Wenn die Arbeitgeber eine Lohnerhöhung für die Beschäftigten verweigern, ist das blanker Hohn. Unsere Arbeit ist unersetzbar und überlebenswichtig. Das muss sich auch im Geldbeutel bemerkbar machen.»
Nach einer Kundgebung am Roncalli-Platz bewegt sich die Demonstration zu einem Altenheim. Hier, an einer Klinik und schließlich am Institut der deutschen Wirtschaft wird angehalten. Ein Bündnissprecher: «Wenn Krankenhäuser und Altenheime Gewinne machen müssen, dann muss Sorgearbeit wie am Fließband geleistet werden. Die Einrichtungen kooperieren nicht, sondern konkurrieren untereinander. Aber gute Pflege braucht Zeit, menschliche Nähe und sinnvolle Planung. Das Gesundheitswesen gehört nicht auf den Markt, sondern in die öffentliche Hand.»
Diese kleine Demonstration von etwa 400 Menschen stößt auf große öffentliche Aufmerksamkeit. Die örtliche Presse berichtet vorher und nachher, der WDR in der aktuellen Stunde. Selbst die ARD-Tagesthemen sind aufmerksam. Für einige Momente zeigt das «Kölner Bündnis für mehr Personal im Gesundheitswesen» der Republik, wo es lang geht. Die Zustände im Gesundheitswesen sind unhaltbar. Es brennt.
Text und Fotos: Klaus Stein
Das Klatschen auf die Straße tragen! (Weitere Fotos)