Die bolivarische Revolution: Sie muss die vom Kapitalismus zerstörte Gesellschaften übernehmen.
Veranstaltung mit Carolus Wimmer
Die Resonanz war ungewöhnlich stark. Schon im Juli hatte der Sekretär für internationale Beziehungen der Kommunistischen Partei Venezuelas (PCV), Carolus Wimmer, auf zahlreichen Veranstaltungen in der Bundesrepublik über die aktuelle Lage in Venezuela berichtet. Unser Genosse konnte für eine erneute Tournee gewonnen werden, die von der DKP und der Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba organisiert wird. Am Montag, den 21. August 2017, war Carolus Wimmer in Köln-Mülheim. Hier gehörte noch die SSM (Sozialistische Selbsthilfe Mülheim) zu den einladenden Organisationen. 75 Menschen folgten der Einladung.
Dieter Hehr von der Kölner Gruppe der Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba wird von Wolgang Bergmann, DKP, vorgestellt. Er spricht kurz, bevor Carolus Wimmer das Wort erhält.
Die Lage in Venezuela ist nach wir vor brisant. Aber nach den Wahlen zur verfassunggebenden Versammlung am 30. Juli hat sie sich verändert, die gewaltsamen Proteste der rechten Regierungsgegner sind abgeflaut. Denn fast alle Oppositionsparteien wollen an den für Oktober geplanten Regionalwahlen teilnehmen.
Die Drohungen von US-Präsident Donald Trump erwiesen sich als Bumerang. Am 17. Juli hatte Trump verkündet: „Wenn das Maduro-Regime am 30. Juli seine verfassunggebende Versammlung durchsetzt, werden die Vereinigten Staaten rasche und deutliche ökonomische Maßnahmen ergreifen." Aber die Wahlen fanden statt. Das Regierungslager wurde gestärkt. Mehr als acht Millionen Menschen bzw. 41,5 Prozent der Wahlberechtigten haben gewählt und damit der Constituyente eine ausreichende Legitimität verliehen. Jetzt wird eine neue Verfassung entstehen. Verlierer ist das Oppositionslager MUD (Tisch der demokratischen Einheit).
International indes hat sich die Lage nicht entspannt. Schon drei Tage nach der Wahl hatte Venezuelas Außenminister Jorge Arreaza Veranlassung, den deutschen Botschafter in Caracas einzubestellen, um gegen die Einmischung Berlins in Venezuelas innere Angelegenheiten zu protestieren. US-Präsident Donald Trump sprach am 11. August gar von einer militärischen Option.
„Wir haben viele Möglichkeiten, mit Venezuela umzugehen, einschließlich einer militärischen Option, wenn es nötig ist. Wir haben Truppen überall auf der Welt, an sehr weit entfernten Orten. Venezuela ist nicht sehr weit weg.“
Carolus Wimmer erinnert an zwei sehr ähnliche Pressefotos: Eins zeigt G-20-Proteste, das andere solche in Venezuela. Was in Venezuela unseren Medien als heroischer Kampf gegen eine Diktatur gilt, wird in Bezug auf die G-20-Proteste als verbrecherisches Geschehen bezeichnet.
Zunächst, sagt Carolus Wimmer, sei das wichtigste die Erhaltung des Friedens. Und hinter all den politischen Kämpfen stehe der Drang nach sozialer Gerechtigkeit.
Der politische Prozess in Venezuela habe 1998 begonnen. Damals tönte Madeleine Albright – wer kennt sie noch, die damalige Außenministerin der USA? - , die USA ließen nicht zu, dass Chavez die Wahlen gewinnt. Und noch 2017 handeln die USA ungeniert nach der Monroe-Doktrin von 1823. Kurzfasssung: „Amerika den Amerikanern“. In Wahrheit stehen hier die Völker Lateinamerikas und der Karibik den 0,01% Menschen gegenüber, die die wirtschaftliche Elite der USA bilden. Süd- und Mittelamerika beanspruchten sie als Hinterhof, als Eigentum.
Dieser Anspruch hat eine lange Geschichte.
1845 Doktrin der „Manifest Destiny“. Nach dieser „offensichtlichen Bestimmung“ hätten die USA einen göttlichen Auftrag zur Expansion. Aus der Monroe-Doktrin leitete US-Präsident Rutherford Hayes 1880 eine weitere ab („Corolario Rutherford Hayes“): alle Gewässer, also Küsten, Flüsse, Seen der beiden amerikanischen Kontinente hätten als Sphäre des exklusiven Einflusses der USA zu gelten. Carolus Wimmer: „schrecklich zu hören, schrecklich zu erleben“. Auch im Grenzstreit zwischen Venezuela und Britisch-Guayana 1895 beanspruchten die USA gegenüber Großbritannien die Verhandlungsführung auf der Grundlage der Monroe-Doktrin. Hier sei ihr Interessengebiet berührt. 1904 war die nächste Ableitung („Colorario Roosevelt“) fällig. In einer Mitteilung Präsident Theodore Roosevelts an den Kongress wurde der alleinige Anspruch auf Interventionen in „inneramerikanischen“ Angelegenheiten bekräftigt. Die Kennan-Corollary stellte 1950 fest, dass die lateinamerikanischen Staaten nicht selbst der Bedrohung durch kommunistische Kräfte widerstehen könnten, und begründete eine lange Reihe von Eingriffen in die Innenpolitik lateinamerikanischer Staaten samt Installierung von Militärdikaturen. Carolus Wimmer erinnert an die Rolle der United Fruit Company, die in Mittelamerika Regierungen ab- und einsetzte.
1960 Blockade gegen Kuba, 1992 durch den Torricelli Act, 1996 mittels Helms-Burton Act noch einmal verschärft. Die Blockade ist immer noch nicht aufgehoben.
Zu nennen sind die Jahre 2002 mit Bushs Doktrin der präventiven Aggression und 2008, als Obama den „permanten Krieg“ erklärte. Carolus Wimmer erinnert an den Handschlag von Obama mit Raúl Castro, 2015/16 folgt Obamas Dekret gegen Venezuela, jetzt im Jahr 2017 die Verhärtung. Rücknahme der Reiseerleichterungen und Druck gegen Kuba. Obama hatte seinerzeit keine der Maßnahmen zurückgenommen, allenfalls festgestellt, dass die US-Embargo-Politik gegen Kuba erfolglos war.
In Venezuela habe der Krieg gegen die Bevölkerung viele Formen, dazu gehöre die Verweigerung von Lebensmitteln, von Seife, Klopapier und anderen Waren des unmittelbaren Bedarfs. Sie gelangten aus den Lagern nicht in die Läden. Zwar sei die bolivarische Revolution nicht ohne Fehler, überhaupt müssten Revolutionen häufig völlig kaputte, vom Kapitalismus zerstörte Gesellschaften übernehmen. Und in Venezuela sei die Revolution sehr unter Druck. Sie müsse sich verteidigen, aber auch arbeiten. Und es gebe noch alte Laster, vor allem die Korruption. Die Bürokratie habe ein starkes Beharrungsvermögen und erschwere die Lösung vieler Probleme. Aber wichtig sei: es gibt eine neue Form der Demokratie, mehr Teilnahme der Bevölkerung. Eine der ersten Entscheidungen der Chavez-Regierung war die Möglichkeit von Plebisziten in der Verfassung, die 1999 diskutiert und beschlossen wurde. Seitdem kommen die indigenen Völker in der Verfassung vor, auch die Frauen, die Jugend, die Arbeiterklasse. Die Fortschritte müssen aber gegen die kleine privilegierte Minderheit durchgesetzt werden, die von internationalen Stiftungen und Konzernen unterstützt werde.
Ausführlich antwortet Carolus Wimmer auf Fragen, sie betreffen u.a. die Legitimität der Constituyente, die Kräfte der Konterrevolution. Auch die Rolle der KP kommt zur Sprache. Ihre wöchentlichen Pressekonferenzen werden sehr interessiert aufgenommen. Sie kritisiert die Regierung und ihre Maßnahmen, wenn es dazu Veranlassung gibt, aber sie macht auch deutlich, dass sie fest auf der Seite der bolivarischen Revolution steht und zusammen mit ihr und den Volkskräften gegen den US-Imperialismus kämpft. Für die KP ist der Sozialismus in Venezuela nicht schon Wirklichkeit, sondern noch ein Ziel, das die Vergesellschaftung der Produktionsmittel zur Voraussetzung hat.
Am Ende: Viel Zustimmung.
„Mit Sorge beobachten wir den Angriff der neoliberalen Reaktion auf die bolivarische Republik Venezuela. Wir hoffen, als DKP Köln einen Beitrag der Solidarität zu leisten, und sorgen als Mitveranstalter dafür, dass die wichtige Veranstaltung mit Carolus Wimmer (...) ein Erfolg wird.“ Dieser Beschluss des Kreisvorstands wurde erfüllt. Es kamen zudem 260 Euro Spenden für die venezolanische Bruderpartei zusammen.
Klaus Stein