Kitas, Ganztag, Gesamtschulen

Kommunalpolitische Konferenz der DKP Rheinland-Westfalen

Einleitende Gedanken zum Workshop »Kitas, Ganztag, Gesamtschulen«

Kindertagesstätte von außen. Eingangsschild mit Pinoccio-Figur: »Kita Buratino«.

von Raja Bernard

Liebe Genossinnen und Genossen,

in genau 45 Tagen wird er in Kraft treten, der sogenannte »Rechtsanspruch U3«.

Begonnen hatte alles im Jahr 2007, auf dem sogenannten »Krippengipfel« am 2. April 2007. Damals waren sich Bund, Länder und Kommunen einig, den Ausbau der Betreuungsangebote für Kinder unter drei Jahren voranzubringen. Es wurde das Ziel vereinbart, für 35 Prozent der Kinder unter drei Jahren bis zum Jahre 2013 einen Betreuungsplatz zur Verfügung stellen zu wollen. Von der Einführung eines subjektiven, einklagbaren Rechtsanspruchs war damals allerdings nicht die Rede. Erst später und ohne Beteiligung der Kommunen hat die damalige Große Koalition den Rechtsanspruch auf Betreuung beschlossen.

Er umfasst die Förderung und Betreuung von Kindern in Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege. Kinder mit Vollendung des ersten Jahres bis zum Alter von drei Jahren haben dann einen einklagbaren Anspruch auf einen Betreuungsplatz. Es handelt sich um eine Sozialleistung der Kinder- und Jugendhilfe, die in den §§ 22 bis 26 des Sozialgesetzbuch Achtes Buch – Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII) geregelt ist. Alle Eltern sollen für ihr Kind ein Förderungsangebot erhalten, das ihren «individuellen Betreuungswünschen« entspricht. [Die Erziehungsberechtigten können für ihr Kind den individuellen Förderungs- und Betreuungsbedarf geltend machen. Dieser muss aufgezeigt werden (möglich sind eltern- und kindbezogene Bedarfe)].

Wir Kommunistinnen und Kommunisten glauben nicht an Wunder und daher ist es keine prophetische Leistung zu sagen, dass es zum Stichtag nicht genügend U3-Plätze geben wird – nicht in NRW und nicht in den anderen westdeutschen Ländern.

In NRW – hier strebt man aufgrund der traditionell niedrigeren Erwerbsquote von Frauen eine Versorgung von 32% an, müssten dazu am 1.8. 144.000 U3 Plätze zur Verfügung stehen. Laut Info der Landesregierung standen im März rund 117.000 (84.500 in Kitas und 32.600 bei Tageseltern) Plätze zur Verfügung – das entspricht einer Quote von 26%. Und das auch nur, weil erhebliche Qualitätsabstriche an den baulichen und Personalstandards zugestanden wurden! Mehr »Phantasie« hatte die Landesregierung in diesem Zusammenhang von den Kommunen gefordert!

Dabei ist bereits seit Jahren klar, dass selbst eine Quote von 32 bzw. 35% den Bedarf, der in den letzten Jahren immer weiter gestiegen ist, abdecken könnte. Eine Studie der Uni Dortmund geht für NRW von einem Bedarf von 37% aus, in vielen Großstädten vor allem liegt dieser heute bereits bei über 50%.

In Bonn sollen es jetzt die Tagesmütter richten. Aber auch hier darf es nicht viel kosten, was die Bedingungen für die betroffenen Frauen gegenüber früher verschlechtert und geradezu dazu einlädt, einen Schwarzmarkt von Tagesmüttern zu schaffen, die für etwas mehr Geld unter der Hand dann besserverdienenden Eltern eher zur Verfügung stehen.

Beispielartikel zu Tagesmüttern in Bonn

Dieser Bedarf steckt auch hinter der immer größeren Nachfrage nach Ganztagsschulen. Wir Älteren werden uns noch daran erinnern, dass es auch in NRW einmal Horte gab, wenige, aber immerhin. Als dann immer mehr Alleinerziehende und auch Familien eine Betreuung für Grundschulkinder forderten, kam das Aus für viele dieser qualitativ hochwertigen Horte mit ausgebildetem Personal. Da diese für alle Kinder zu teuer wären, verschwanden sie zugunsten der sogenannten Verlässlichen Grundschule (8 bis 12 Uhr) und schließlich der »Offenen Ganztagsschule« (OGS). Die Option Horte oder gar Ganztagsschulen (im wahren Sinne des Wortes) für alle war nicht bezahlbar und auch nicht gewünscht.

Die OGS erfreut sich – trotz aller räumlicher, qualitativer usw. Probleme wachsender Beliebtheit und selbst diese Billigvariante der Betreuung von Schulkindern kann – zumindest ist das die Erfahrung in Bonn – den Bedarf trotz steigenden Angebots an Plätzen nicht decken.

Da die Gesamtschulen (GS) von den Organisatoren der Konferenz auch im Titel des Workshops benannt wurden, nur einige Sätze dazu.

Allen Angriffen (quer durch alle Regierungskonstellationen!) zum Trotz und ungeachtet der erforderlichen Kritik, weil ja die heutigen GS weit entfernt davon sind, das zu realisieren, was ursprünglich mit ihnen bezweckt war, haben wir es hier mit einer Erfolgsgeschichte zu tun. Ihre Zahl wächst ständig und weder das Zentralabitur, noch die Beschränkungen der Rüttgers-Regierung (nur noch unter sehr eingeschränkten Bedingungen Zulassung neuer GS und dann z.B. nur noch ohne Ganztag und ohne Oberstufe) noch der Schulkompromiss mit der »Gemeinschaftsschule« von Frau Löhrmann konnten ihr den Garaus machen. An immer mehr Stellen gibt es Initiativen für neue Gesamtschulen, trotz Neugründungen können viele Anmeldungen nicht berücksichtigt werden, ja Gesamtschule heimsen auf Landes- und Bundesebene renommierte Schulpreise ein. Aktuell machen viele GS im Zusammenhang mit der Inklusionsdebatte von sich reden, ist es doch vor allem diese Schulform, die in NRW bereits seit Jahren – gute! – Erfahrungen mit dem sogenannten Gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne besonderen Förderungsbedarf gemacht haben und machen. Doch dazu später noch.

Wenn wir uns als Kommunistinnen und Kommunisten mit dem Thema Kitas, Ganztag und Gesamtschulen auseinandersetzen, dann sollten wir uns bewusst machen, dass es ein sehr facettenreiches Thema ist.

1. kommunalpolitisches Thema

Ja, es ist ein kommunalpolitisches Thema, denn die genannten Einrichtungen gehören zur Daseinsfürsorge auf kommunaler Ebene (wenn auch nicht immer in kommunaler Trägerschaft!) Es ist ein kommunalpolitisches Thema, weil es auch hier – soviel dürfte in meinen einleitenden Worten bereits deutlich geworden sein – um die Frage der kommunalen Finanzen und um die Verteilung öffentlicher Mittel zwischen Bund, Ländern und Kommunen geht.

2. Zukunftsthema

Es ist aber vor allem auch ein Zukunftsthema, weil in der aktuellen Situation wo wie wir im Parteiprogramm sagen« Zum ersten Mal in der jüngeren Geschichte stehen die jungen Generationen schlechter da als die Generationen, die ihnen vorangingen« und in einer Situation wo auch die bürgerlichsten Studien diesem Land immer aufs Neue attestieren, dass Bildungserfolg (und damit die nicht unbedingt hinreichende, aber notwendige Bedingung für einen guten Start ins Berufsleben) sehr eng an die soziale Herkunft geknüpft ist, eine gute frühkindliche Förderung und eine gute Schule, die auch Kindern aus sogn. bildungsfernen Schichten (nicht nur mit Migrationshintergrund!) eine Chance bietet, über Zukunftschancen entscheidet. Deshalb sollten möglichst alle Kinder die Chance haben, in qualitativ guten Kitas und Ganztagsschulen mit längerem gemeinsamen Lernen individuell gefördert zu werden.

3. Systemthema

Als Zukunftsthema ist es auch ein Thema, über das man die Systemfrage diskutieren kann. Die Geschichte des eingangs erwähnten Rechtsanspruchs verweist ähnlich wie die Ergebnisse des Zensus 2011 auf die Unfähigkeit dieses Landes, ja dieses Systems (obwohl es sicherlich kap. Länder gibt, in denen es besser klappt) gesellschaftliche Bedarfe zu identifizieren, geschweige denn zu befriedigen. Wenn der Charakter einer Gesellschaft sich daran zeigt, wie sie mit den schwächsten Mitgliedern, den Kindern, umgeht dann zeigt die Thematik auf, dass der Kapitalismus keine humane Gesellschaftsform ist. Und wenn wir uns ansehen wie die Umsetzung der UN-Konvention für Menschen mit Behinderungen in Form des Gemeinsamen Unterrichts in den Schulen NRWs erfolgen soll, dann wird das noch deutlicher: verschlechterte oder zumindest unklare Festlegungen über die Ausstattung, Betreuungsrelationen usw. führen – so befürchten es die Schulen, die bereits seit Jahren mit immer schlechteren Rahmenbedingungen im GU zurande kommen müssen, sind weder im Interesse der betroffenen GU-Kinder, noch aller anderer daran Beteiligter.

Zitat aus dem Brief der GU-Gesamtschulen des Regierungsbezirks Köln

4. Familienpolitisches Thema

Wenn sich in den letzten Jahrzehnten die Erwerbsmuster der Familien in Westdeutschland weg vom Alleinerzieher Mann und dem Dreiphasen-Modell der Erwerbstätigkeit der Frauen (erwerbstätig vor und nach der Kindererziehung, Berufsausstieg während der Erziehungsphase) hin zu einem modernisierten Modell mit einem Vollzeit arbeitenden Mann und einer auch als Mutter immer häufiger Teilzeit arbeitenden Frau entwickelt haben, so war das unter der Bedingung immer seltener zur Verfügung stehenden Großmütter nur mit zusätzlichen Betreuungsangeboten für Vor- und Schulkinder möglich. Und wenn immer mehr junge Familien dieses Erwerbsmodell leben oder sogar zu ein egalitäres Erwerbsmodell (beide Vollzeit oder beide Teilzeit) anstreben, dann wird das ohne den weiteren Ausbau dieser Angebote nicht gehen.

5. Frauenpolitisches Thema

Dabei ist die Verfügbarkeit von genügend qualitativ guten Betreuungsplätzen sicherlich ein wichtiges Kriterium, jedoch nicht das einzige.

In diesem Zusammenhang möchte ich Euch eine Studie vorstellen, die Erwerbskonstellationen von Eltern in Ost- und Westdeutschland untersucht und vergleicht.

Ergebnis: auch noch mehr als 20 Jahre nach dem Ende der DDR dominiert auf deren ehemaligen Territorium noch immer das egalitäre Erwerbsmodell (in diesem Fall beide Vollzeit) Bei geringerer Arbeitslosigkeit und mehr Vollzeitangeboten für Frauen wäre dieser Unterschied noch größer. Die beiden Autorinnen der Studie erklären das nur zum Teil aus den im Osten immer noch besseren Betreuungsmöglichkeiten. Sie gehen davon aus, dass familienpolitische Leitbilder und das historisch gewachsene kulturelle Klima eine wichtige Rolle spielen und dass die Erfahrungen und Haltungen, das Frauenbild aus der DDR noch heute nachwirken.

Fragen nach der Verantwortung der Gesellschaft für Erziehung und Betreuung, nach der Rolle der Frau und deren Emanzipation müssten also auch bei einer 100%igen Bedarfsdeckung an Betreuungsplätzen gestellt werden.

In diesem Zusammenhang ist die Debatte um das sog. Betreuungsgeld zu sehen. Hier geht es eben nicht nur um 270 Mio jährlich in NRW, mit denen ca. 27.000 zusätzliche U3-Plätze geschaffen werden könnte. …

6. Bündnispolitisches Thema

In vielen Städten bzw. Stadtteilen wirken Elterninitiativen für neue bzw. gegen Qualitätsverschlechterungen bestehender Kitas und OGen und für neue Gesamtschulen. Deren Vernetzung mit anderen gesellschaftlichen Kräften ist oft ein Kriterium für den Erfolg.

Dabei stellt es eine Herausforderung für unsere Bündnispolitik dar, dass im Bildungsbereich oft nicht diejenigen am initiativsten und aktivsten sind, die zu unserer Hauptzielgruppe gehören: oft sind es Eltern aus der Mittelschicht, die hier vorangehen und auch ihre Forderungen sind oft von ihren eigenen Interessen (die aber nicht zwangsläufig denen aus bildungsferneren Schichten zuwiderlaufen müssen!) geprägt.

7. Thema Arbeitszeitverkürzung

Der Wunsch vieler vor allem junger Eltern nach egalitären Erwerbs- und Lebensmuster hängt eng mit der Durchsetzung kürzerer Vollzeit für alle statt immer mehr Teilzeit v. a. für Frauen zusammen.

Doppelbelastung im Sinne einer 40-Stunden-Woche plus Kinderbetreuung und Haushalt kann nicht unser Modell sein – weder für Frauen noch für Männer.

In diesem Zusammenhang erhält unsere beschlossene Forderung/Kampagne für die 30-Stunden-Woche besondere Bedeutung.

Beispiel »Teilzeit macht Männer krank«

Foto: Lienhard Schulz
Wikipedia CC BY-SA 3.0